ceci n'est pas une blague
Markus Jakob
Histrionen

[ca. 1987-1989]

 

Tagewerk des Tagediebs

Den Nachmittag für die Liebe, die Nächte für Anderweitiges, so ist’s nach meinem Geschmack. Wie dieser Frühling minniglich herumgeht, als wäre Ihnen eine Lizenz fürs Tändeln und Schlendern erteilt. Früher haben Sie ganze Opern geträumt, heute sind Sie zufrieden, wenn Ihnen im Halbschlaf noch einige halbschlaue Prosabrocken einfallen, an die Sie sich später auf Ihren Müßiggängen vergeblich zu erinnern versuchen. Und kuscheln sich wieder ein, nachdem Sie Maries weich atmende Frauengegenwart ertastet haben. Öffnen bloß zwischendurch mal im Morgenrock dem Briefträger die Tür (ein Chèque) und erhaschen noch ein Traumsprengsel, ehe Sie sich darein schicken, dass länger zu schlafen nicht menschenmöglich ist. Tee und Artigkeiten, während sich plätschernd die Badewanne füllt. Ich weiß nicht, was man davon halten wird, wenn Sie Ihre aus dem Nass auftauchende Gespielin einen Gottesbeweis nennen und nochmals heißes Wasser einlaufen lassen, bevor Sie allen Ernstes verlautbaren, nun hätten Sie sich den Forderungen des Tages zu stellen. Das heißt zunächst, den Chèque einlösen (und Marie im Souvenirladen neben der Bank einen Plüschlöwen kaufen), was als Vorwand hingeht, sich durch laute, von Leben strotzende Gassen ins Café O. zu begeben und sich dort ein zweites Frühstück – Croissants und erste nachsichtige Blicke auf die Außenwelt – gewohnheitshalber zu gestatten. Marie taucht in der mittäglichen Frivolität des Boulevards unter, und Sie erstehen auf dem Nachhauseweg einen Fliederstrauß, der unter einigen Passantinnen gelinde, nur Ihnen verständliche Ekstasen auslöst. Sie hüllen sich jetzt in die Straße ein, in ihr Rauschen und Gellen, ihr Flüstern und Flüstern. Vor dem Rathaus das Blaskonzert eines chinesischen Kinderorchesters, dazu tanzen stöckchenwirbelnd acht leichtgeschürzte Mädchen. La vida es vértigo… Da auf einmal, indem die Subjekte, die da auch herumstehen und vermutlich ganz ähnlichen physikalischen und chemischen Gesetzen wie Sie unterworfen sind, aus ihrer bloß äußerlichen Anwesenheit brüderlich-dämonisch in Ihre Empfindungswelt dringen, werden Sie durch einen mentalen Sog in ein furchtbares Realitätsloch hinausgehoben. Wie durch einen Riss in der Ausgleichskammer Ihrer Wahrnehmungen.

Zuhause angelangt (Stunden später), und nachdem Sie die passende Vase für den Flieder gefunden haben, verweilt man sich noch ein wenig beim Arrangieren der Rosen und der Anemonen, worauf es an der Tür klingelt, eben als Sie entkräftet auf den Diwan gesnken sind: Marie hat ihen Skizzenblock vergessen. Siesta… und dann fällt Ihnen ein, dass Sie ja heute noch die Karten für das unglaubliche Moskauer Theater holen müssen. Vielleicht würde man von dem Abendspaziergang mit ein paar Sätzen im Kopf heimkehren.

 

Bei den Herrenausstattern

                                                                                                                                 No pearls, no passion

Soll’s wieder das Grau der letzen zehn Jahre sein? Mit einem Stich ins Saharafarbige? Was ficht’s mich an, wenn die Töne der Saison Kamel, Chamäleon, Maulwurf sind? Das Leben da draußen ist hart; kann der richtige Sweater helfen? Der Witterung Rechnung tragend, genehmige ich mir erst ein Glas hot water in einem Café am Sloane Square, bevor ich mich auf den langen Marsch zur Erlangung einer nicht allzu schüchtern wirkenden Winterausstattung begebe.

Sehen Sie, wie ich ohne zu zaudern bei Marks & Spencer ein Paar Handschuhe auswähle: ich bedarf keiner beifällig nickenden Begleiterin mehr, um mir über meinen Geschmack klar zu werden. Solcher Reifegrad lässt Narreteien zu. Die Mützen im Kaninchenstil bei Stephen King häte es mir schon angetan, ebenso gefällt mir dieses finnisch angehauchte Strickkäppchen, aber möchte ich wirklich wie ein Pilz aus Grimms Märchen aussehen? Auffallen oder aufgeben? Angesichte der in Japan gefertigten buntscheckigen Wollhosen kann ich nicht mehr widerstehen. Und irgendwie vertragen sie sich ja auch mit meinen italienischen Stiefeln, dem spanischen Schal, dem Pariser Pullover und dem alten Heilsarmeemantel.

Ohne Scheu schreite ich derart verschönert unter den Extravaganzen Chelseas fort: da, zwei Frauen aus lauter industriellem Zubehör; dann plötzlich eine Schar Schulmädchen in Tweeduniformen, bei denen man sich allein vom Hinsehen zu kratzen beginnt, und fleischfarbenen Strümpfen; dann wieder, vor einem der weißen Anwesen an einem halbmondförmigen Square, ein schwarzer Diener in gestreifter Weste. Kleidung ist hier zweifellos Religion. Kann ich es überhaupt verantworten, den Laden der Modeschöpferin Katharine Hamnet in meiner inkohärenten Aufmachung zu betretetn? Vielleicht läuft es auf eine Art verträumt edler Schäbigkeit hinaus, in der man sich dann gut später am Abend in Gaz’s at Gossips oder Heavy Duty at The Wag zertrampeln lassen kann.

Vielleicht, dass Accessoires weniger anfällig sind, oder dass sich die Mode nach innen verlagert. Für Unterwäsche bietet sich sicher Harrod’s mit seinen Zimmerli of Switzerland an; oder doch bedruckte Boxers, um sich bis auf die Haut des letzten Schreis zu versichern? Auch bei Harrod’s sind allerdings jene seidengeknüpften farbigen Manschettenknöpfe nicht erhältlich, deretwegen ich doch eigentlich nach London gefahren bin. Und sogar bei Powell & Co., wo sonst jedes Accessoire zu haben ist, das einen in die Nähe Clark Gables zu rücken vermöchte, fehlen sie gerade. Saville Row, wird mir beschieden, sei für solcherlei Erzeugnisse der Ort. Na bitte, wo anders als an der vorzüglichsten Adresse hätte denn mein Modespaziergang enden sollen? Freilich wird mein Heilsarmeemantel bei Gieves & Hawkes nicht ohne leisen Argwohn betrachtet; aber es gibt hier endlich doch die seidenen Manschettenknöpfe als auch, in Metall oder Stoff ausgeführt, elastische Armbänder, zwecks Aufkrempelung und mithin Schonung der Hemdsärmel von Denkertypen wie mir, die tagaus tagein ihren Kopf auf die offene Hand und ihren Ellbogen aufs Pult stützen, und die man mir unter Andeutung von Bücklingen in reicher Auswahl vorlegt. Danke, Mr Fish! Danke, Mr Gieves & Mr Hawkes!

 

Meditation des Kammerdieners

Ich möchte mich Zofe nennen. Der Hinterhertrottende… Die mich dazu berief, ist ganze reizende zwanzig. Ein leicht mongoloider Einschlag, der aufgeworfene Mund, ihre ranke Gestalt, die umso gefährlicher um die Hüften zum Weibe sich rundet, bewogen mich zu jenem Spiel, das sie adelt mich zu hrem Domestiken macht. Zwei Augenpaare, sekundenlang im Menschengewühl ineinander verloren, und der Pfeil war abgeschossen. Die Mischung aus Gleichgültigkeit und zarter Annäherung, mit der ich ihr begegnete, schien sie zu verwirren. »Herrlich, wie ich dich nicht durchschaue«, ließ sie sich herab, mir zu gestehen. Was sie beunruhigte, war meine Voraussicht, meine Sicherheit darin, zu erraten, was in ihr vorging und wie es sie verlangte, mich zu dominieren. In Wirklichkeit wies zunächst ich den Weg. Wir kamen taumelnd durch enge Gassen, und dort an einer Ecke geschah es, dass sie ihr Bein wie die Durchtriebenste, Abgefeimteste auf einem abgewetzten Mauersims anwinkelte und mich zu sich herzog. Aber das war Geblüt, nicht Erfahrung… Meine Herzogin! Einzelne Passanten gingen an uns vorüber, wir verzückten uns lange in den dunklen Winkeln, einmal murrte eine Alte: »Schon wieder!…« Immer noch, hätte sie besser gesagt.

Da wir uns nicht damit begnügten, zwei Teilchen oder Ladungen im Magnetfeld unsteter Begierden zu sein, galt es, unserer Beziehung eine bestimmte Form zu geben. Nach unserer stürmischen und, wie wir im nachhinein feststellten, schwindelerregenden ersten Bekanntschaft (wir verliefen uns beide, nachdem wir uns getrennt hatten), hielt ich es für ratsam, etwas Zeit vergehen zu lassen. Man soll es bei Frauen nicht zu eilig haben; man muss das richtige Verhältnis zwischen unvorhersehbarer Verachtung und dienerlicher Bereitschaft finden. Als ich anrief, war sie mit den Nerven am Ende und lud mich unverzüglich zu sich ein. Ich kuschte, um es stark, aber trefflich zu sagen. Im Lauf dieses Nachmittags degradierte sie mich zu ihrem Kammerdiener, denn ein solcher, denkt sie vielleicht, kann einer Herzogin nicht zum Verhängnis werden. Eine exquisite Inszenierung, und das Gleichgewicht, das sich so zwischen uns einspielt, halte ich für vollkommen.