ceci n'est pas une blague
Markus Jakob
Sittenverwilderung III

Sass gestern friedlich im Strassencafé an Allada Vermell, als oben am Platz plötzlich eine Strassenschlacht ausbrach: offenbar zwei rivalisierende Gangs. Als kämpften sie bei rauhem Seegang auf einem Schiffsdeck, drifteten die zwanzig oder dreissig ineinander verkeilten Leiber mal nach links, mal nach rechts, um schliesslich unter anhaltendem Gebrüll in der Calle Carders zu verschwinden. Noch so ein Problem, diese Gangs lateinamerikanischer Immigrantenkids; die bekanntesten, mit New Yorker Stammbaum, sind Los Ñetas und die Latin Kings.

Ich wollte eigentlich bloss noch einmal auf die «Verordnung betreffend die gute Gesittung» zurückkommen, die Ordenanza del civismo, die bereits hier und hier zur Sprache kam: diesen Versuch der Stadt Barcelona, ihre Bewohner (und ihre Besucher) Mores zu lehren. Jetzt erst, da der Hochsommer und mithin die Hochsaison der Sittenverwilderung da ist, lässt sich ermessen, wie diese ganz schön rabiat klingenden Vorschriften in die Praxis umgesetzt werden. Wobei die eigentliche Feuerprobe, das in den letzten Jahren zur allnächtlichen Strassenschlacht degenerierte Quartierfest in Gracia in der zweiten Augusthälfte, noch bevorsteht.

Mitte Juni verlautete, die Polizei habe seit Inkrafttreten der Verordnung 17’000 Geldstrafen verhängt, darunter 1594 für öffentliches Urinieren, 3322 für Graffiti und Sprayereien i.A., 5500 für ambulanten Handel, 1320 für die trileros (die Glücksspiel-Schwindler), usw.

2030 Bussen betrafen den Strassenstrich, das umstrittenste Kapitel der Verordnung; weitere 23 wurden wegen öffentlichen Kopulierens verhängt. Letztere gehören zu den teuersten, 1500 bis 3000 Euro pro Missetat. Die Tarife sind allerdings generell sehr happig. Trotzdem wurden die reellen Einnahmen nach fünf Monaten auf gerade 76’000 Euro beziffert: die Zahlungsmoral lässt in solchen Fällen zu wünschen übrig, und im übrigen kann man auch Rekurs einlegen. Cash bezahlt haben – vermutlich um sich die schriftliche Anzeige zu ersparen – mehrheitlich nur die Freier (die sich genauso strafbar machen wie die Strassenmädchen).

Und nun ein paar die Ordenanza betreffende Beobachtungen aus der wirklichen Hitze der Nacht:

1.) Abends um neun halten vor dem Corte Inglés – das Kaufhaus schliesst um zehn – die Strassenhändler ihre Ware auf schnell zusammenzuraffenden Decken feil. Sonnenbrillen aller Marken, gefälschte Louis-Vuitton-Täschchen sonderzahl liegen noch weit Paseo-de-Gracia-aufwärts auf den (echten?) Gaudí-Fliesen aus. Das Top Manta genannte Geschäft scheint wie eh und je zu laufen – und wegzulaufen, sobald die Polizei erscheint. Wie eh und je, denn legal war es nie. Bloss die Strafen sind nun drakonischer. Auch der mannigfaltige weitere ambulante Handel blüht. Die pakistanischen Bierverkäufer benützen die allgegenwärtigen Abfallkörbe als Zwichenlager für ihre Ware. Einige dieser lateros haben jetzt vorausblickend in ohnehin verbotene Substanzen diversifiziert.

2.) Vor dem Macba brettern abends um elf die Skater scharenweise vor den auf Richard Meiers langem, menschenfreundlichen Mäuerchen wie Vögel aufgereihten Kiebitzen (die allerdings gar nicht hingucken). Gegen Mitternacht erscheint eine Patrouille und weist sie weg – freilich ohne die theoretisch bis zu 700 Euro reichenden Strafgelder einzufordern. Als Anwohner würde ich resignieren – so wie ich einst das jahrelang anhaltende Bongo-Getrommel im Park gegenüber meiner Wohnung schon als unvermeidlich hinzunehmen begonnen hatte, als die Stadtpolizei ihm eines Tages doch ein Ende setzte.

3.) An der Plaza Real: business as usual. Allerdings gibt es die nächtlichen Sit-ins nicht mehr, die noch letzten Sommer eher unangenehm auffielen, bestritten von Asphalthöcklern aus dem hohen Norden (mindestens ein paar Milanesi waren zwar auch immer dabei), denen die örtlichen Bierpreise nicht passten. Vielleicht werden diese Knauser jetzt einfach weggesprüht? Denn die Jungs von BCNeta sind mit ihren gelben Schläuchen heuer eifriger bei der Sache denn je. Keine Gasse, die nach Mitternacht nicht abgespritzt wird («Hose ´em away» , wie mein Freund Rahul jeweils sagte), und wer mit Espadrilles unterwegs ist, wird sich nach den Gängen über den nassen Asphalt alsbald in La Manual Alpargatera ein neues Paar kaufen müssen.

Kleine Nebenfrage: War nicht an der Plaza Real einst das gelegentliche Auftauchen, die Zeitlupenein- und rundfahrt eines Patrouillenwagens um den Platz herum, viel einschüchternder als jetzt die ständige Bereitschaftsstellung der neuen katalanischen Polizeitruppe, der ach so schnieken und trotzdem das Auge beleidigenden Mossos d’Esquadra, an einer der Platzflanken?

Kurz und gut: In der Praxis ist aus der präventiven Repression bisher nicht viel geworden. Die gesellschaftliche Wirklichkeit lässt sich gottseidank nicht mit ein paar Vorschriften aus der Welt schaffen. Auf den besonders absurden Versuch, dem Strassenstrich den Garaus zu machen, ist demnächst zurückzukommen.

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