ceci n'est pas une blague
Markus Jakob
Bombelli, Cadaqués und die Macba-Kapelle


Richard Hamilton 1975 in Cadaqués vor seinem Richard-Schild, Lanfranco Bombelli 2006 im Macba vor demselben Stück aus seiner Sammlung.

Wer Costa Brava sagt, muss auch Cadaqués sagen; aber nicht unbedingt Dalí. Dabei war es natürlich Dalí, der den Ort legendär gemacht hat. Nicht sosehr weil seine Bilder unter dem Einfluss dieser zugleich weichen und scharf konturierten Landschaft entstanden sind, den von der Tramontana leergefegten Gesteinsformationen am Cap de Creus. Vor allem war Cadaqués (wo Dalí schon vor dem Krieg lebte, um sich 1948 im benachbarten Port Lligat niederzulassen) Schauplatz vieler der von ihm so meisterlich inszenierten Eklats, die ihn zum ersten massenmedientauglichen Künstler überhaupt machten: der grosse Histrion, umgeben von andern Promis wie den Dichtern Lorca und Éluard, Gala natürlich und Amanda Lear.

Weniger bekannt ist, dass Cadaqués von einer ganzen Reihe anderer Künstler frequentiert wurde: Picasso und Man Ray zunächst, später John Cage, Richard Hamilton, Dieter Roth, Marcel Broodthaers und vor allem Marcel Duchamp, der seit den frühen 50er Jahren bis zu seinem Tod 1968 jedes Jahr die drei Sommermonate hier verbrachte. Er war es auch, der vermutlich die zuvor Genannten in Cadaqués einführte. Nicht zu vergessen, dass Duchamp, der sich die Zeit an der Costa Brava scheinbar nur mit Schachspielen vertrieb, hier sein letztes Hauptwerk Étant donnés austüftelte…

Kurz nach 1960 liessen sich auch zwei junge Architekten, Lanfranco Bombelli (italienisch-schweizerischer Abstammung, ETH-Absolvent) und sein Partner Peter Harnden hier nieder. Ihr Werk ist weitgehend unbeachtet geblieben. Dabei gehören die von ihnen in und um Cadaqués gebauten Villen – etwa die Casa Fasquelle gleich gegenüber Dalís Haus in Port Lligat – zum Fabelhaftesten, was es an der Küste gibt. (2002 erschien zu einer Ausstellung in Girona im Verlag des COAC Barcelona endlich eine Monographie, El Cadaqués de Peter Harnden i Lanfranco Bombelli, die ich leider nicht zur Hand habe. Im Internet findet sich praktisch keine Information. Dank meinem Freund Xavi Blanquer kann ich aber hier auf einige von ihm angefertigte 360°-Panoramen verlinken – die Casa Fasquelle (.mov), eine Attikawohnung (.mov) über Bombellis Galerie und die Villa Gloria (.mov) –, die im Netz nicht mehr zugänglich sind.) [see also Fasquelle House panorama at FieldOfView]

Bombellis Partner Harnden starb schon 1973. Noch im selben Jahr eröffnete Bombelli, der sich selbst auch als Maler versuchte – in dieser Disziplin (sein ETH-Background?) ganz der konkreten Kunst verschrieben –, die Galeria Cadaqués. Natürlich war er in dem für die Happy Few wie geschaffenen Kaff bald schon auch mit dem Duchamp-Kreis in Kontakt gekommen. So wurde die Galerie, obwohl nur stunden- bzw. saisonweise geöffnet, zu einer im damaligen Spanien einzigartigen Institution, die Hamilton und Roth ausstellte, aber auch Max Bill oder experimentierfreudige Katalanen wie Muntadas und Miralda.

Nun hat der Kurator Roland Groenenboom für das Museu d’Art Contemporani de Barcelona (Macba) unter dem Titel galería cadaqués eine Auswahl aus der Sammlung Bombelli zusammengestellt. Sie nimmt lediglich einen Saal des Museums ein; die Formate sind klein, viel Interessantes liegt in Vitrinen. Bei der Pressekonferenz wurde angedeutet, die Sammlung werde eventuell als Leihgabe ans Macba übergehen.

Sie würde bestens in dessen Bestände passen. Das zeigte die gleichzeitig eröffnete Präsentation der jüngsten Akquisitionen der Stiftung Macba. Ich habe mir flüchtig nur noch eines der beiden Geschosse angesehen, auf denen sie zusammen mit ausgewählten älteren Beständen einmal mehr aufzeigen, welche Linie das Museum unter der Leitung von Manuel Borja-Villel verfolgt. Schlüsselfiguren sind für ihn Broodthaers, Dieter Roth… und nicht nur, weil sie gern in Cadaqués sömmerten. Unter den neuen Werken stechen hervor: Eugènia Balcells, George Brecht (dessen Werküberblick im Erdgeschoss noch bis am 12. Oktober zu sehen ist), stanley brouwn (kürzlich in einer gleichfalls von Roland Groenenboom kuratierten Ausstellung im Macba zu sehen), James Coleman, und immer wieder Öyvind Fahlström. Zudem hat Cragie Horsfield vierzehn seiner 1996 im Auftrag der (damals von Borja-Villel geleiteten) Fundació Tàpies entstandenen Barceloneser Portraits als Depositum dem Macba überlassen. (Im Bild eines der Pictures For Bipeds, auf denen Roth und Hamilton sich gegenseitig porträtierten.)

An der Pressekonferenz sass der greise Bombelli neben dem Unternehmer Leopoldo Rodés, der die Stiftung Macba umsichtig leitet. In der Mitte aber, und auf ihn waren von Anfang an alle Mikrophone gerichtet, sass Kataloniens conseller de cultura, sprich Kulturminister, Ferrán Mascarell. Diese blitzblanke Figur hat mir auf einmal – ich sehe sonst nicht viele Politiker – das Wesen seines Métiers offenbart. In dem kleinen Saal wurde ohne Lautsprecherverstärkung gesprochen. Man verstand trotzdem alle einigermassen – bis auf Mascarell, der ausschliesslich in die vor ihm aufgebauten Mikrophone nuschelte und für die drei oder vier TV-Kameras geistvolle Blicke über die Tischfläche schweifen liess. Dieser Herr ist offensichtlich in einer andern Welt zu Hause: Man musste jederzeit befürchten, er löse sich gleich in Pixel auf; und dass er nach jeder seiner Interventionen sofort seinen Stuhl ein wenig nach hinten rückte, als möchte er gleich aufbrechen – nun, da seine Sendezeit vorüber war –, erschien wie ein Ausbruchsversuch in die dreidimensionale Wirklichkeit, in der man ihn sich gar nicht vorstellen kann. Ich erzähle das nur, weil ich noch nie leibhaftig ein Individuum gesehen habe, das diesen Grad an medialer Abgehobenheit erreicht hat wie der katalanische Kulturminister.

Mascarell (welch trefflicher Name: das Mäskchen?) hätte sich übrigens gar nicht ins Macba bemüht, wäre es bloss um die Sammlung Bombelli oder die Neupräsentation jener des Museums gegangen. Er weihte jedoch zugleich die erste Erweiterung des Museums ein: die Capilla dels Angels, eine schräg gegenüber dem Richard-Meier-Bau liegende Kirche. Die Architekten Clotet-Paricio haben den (schon lange nicht mehr als solchen benützten) Kirchenraum mit spärlichen Eingriffen in einen Ausstellungsraum verwandelt. Im Bild ein kleines Seitenschiff mit Helen Levitts frühem (1952) Asphalt-Documentary In the Street, East Harlem.

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