Das Madrider Gesundheitsministerium scheint sich darauf zu kaprizieren, Spaniens Gastwirte zu schikanieren. Vor einem Jahr setzte es ein Anti-Raucher-Gesetz in Kraft, das sich weitgehend als Farce erwies – ausser an den nunmehr strikt rauchfreien Arbeitsplätzen. Wird denn aber, kann man sich fragen, in Bars nicht auch gearbeitet?
Denn da Eigner und Gérants von maximal 100 Quadratmeter grossen Lokalen selbst entscheiden durften, ob sie lieber ihre rauchende oder ihre nichtrauchende Kundschaft verprellen, wird in den weitaus meisten Bars wie und je gepafft. Erstaunlich übrigens, wie viele Lokale offenbar exakt 99 Quadatmeter messen! (Vgl. dazu diesen nicht mehr ganz taufrischen Text, der auf einem Gespräch mit der uruguayischen Dichterin und Ex-Raucherin Cristina Peri Rossi beruht.) Grösseren Etablissements wurde eine bauliche Unterteilung (mit separater Entlüftung des Raucherbereichs) vorgeschrieben, deren Kosten die meisten Wirte schon deshalb scheuten, weil eher früher als später ja doch das totale Rauchverbot folgen wird. Derzeitiger Stand der Dinge: an Spaniens Theken ist alles beim Alten, hingegen sind viele Restaurants jetzt qualmfrei, während die grossen Nachtschuppen teils eine gewisse gesetzeswidrige Toleranz walten lassen.
Die Raucher vor die Tür zu setzen, würde zwar ungleich idealere Anbandelsituationen schaffen, als sie sich im Getöse und Geflicker im Inneren je bieten, daneben aber auch dem Nachtlärm auf den Gassen Vorschub leisten. Was im Grunde wiederum das Gesundheitsministerium auf den Plan rufen müsste. Interessanterweise hat sich jedoch dieses, gerade was die den Spaniern zugemutete Lärmbelastung betrifft, bisher taub gestellt. Dabei sind die Belästigungen durch Nachtschwärmer bloss Bagatellen im Vergleich zum Bau- und Verkehrsgetöse, das Millionen fast zum Wahnsinn treibt.
Stattdessen hat die Gesundheitsministerin ihre Aufmerksamkeit nun einem kleinen Wurm zugewandt, Anisakis genannt, dessen Larven ursprünglich den Exkrementen von Meeressäugern (Walen, Delphinen) entstammen, und der auf etlichen Umwegen mitunter in den Verdauungstrakt menschlicher Konsumenten gelangt, insbesondere die Mägen von Liebhabern roh genossener Speisefische. Um die Verbreitung der schmerzhaften, in Extremfällen sogar lebensgefährlichen sogenannten Anisakiasis einzudämmen, schreibt ein ministerieller Erlass nun vor, zum rohen Genuss bestimmter oder bei unter 60º gegarter Fisch habe zuvor auf mindestens -20º tiefgekühlt zu werden – dies die Grenzwerte, die der Parasit nachweislich nicht überlebt. Wissenswertes über den Anisakis teilt weiter die U.S. Food and Drug Administration mit; und wer es gern anschaulich hat, kann sich das Video einer Endoskopie ansehen, bei der das Würmchen im Magen eines Betroffenen aufgespürt wird.
95% aller Anisakiasis-Fälle wurden bisher, sashimi oblige, in Japan registriert. In weitem Abstand folgen Holland, das seine Heringe, und Spanien, das seine boquerones gleichfalls roh zu verzehren beliebt. Hätten nun jedoch, kann man sich fragen, die nachgerade epidemische Verbreitung japanischer Restaurants in Spanien, zudem die von der Haute Cuisine gepflegten sanften Garmethoden, die zunehmend auch am heimischen Herd als gute Sitte gelten, nicht zu einer ebenso epidemischen Zunahme der Anisakiasis führen müssen? Dies umso mehr, als heute angeblich bis zu 40% der Fänge aus dem Nordatlantik (für das Mittelmeer werden Zahlen zwischen 5% und 15% genannt) von dem Parasiten infiziert sind. Die Zahl der durch ihn Erkrankten steht dazu jedoch in keinem Verhältnis.
Als Hauptursache für das Grassieren des Anisakis wird die Unsitte der Hochsee-Fangflotten vermutet, die Innereien ihres Fangguts, bevor dieses tiefgekühlt wird, ins Meer zurückzuwerfen; was auch erklären würde, warum der Nordatlantik weit stärker betroffen ist als das ohnehin schon fast leergefischte Mittelmeer. Leidtragende sind zunächst jene letzten Mohikaner des mediterranen Fischereigewerbes, die weiterhin tagtäglich frische, wiewohl teils von dem Schädling verdorbene (oder allein durch den Verdacht entwertete) Ware anlanden. Von ihrer Seite ist in Sachen Anisakis indessen kein Wort an die Öffentlichkeit gedrungen.
Die den ministeriellen Erlass, der es ihnen hinfort untersagt, frischen Fisch roh oder unter 60º gegart zu servieren, umgehend als Attentat auf ihre Kunst bezichtigten, waren Spaniens Spitzenköche und Gastro-Gurus. Einer von ihnen hat die Massnahme mit dem Eingriff eines Chirurgen verglichen, der wegen einer kleinen Fingerblessur gleich den ganzen Arm amputiert. Die Kenner der Materie zu konsultieren, hielt das Ministerium offenbar für überflüssig. Auch welche Fischsorten – ob alle gleichermassen, ob einige vielleicht gar nicht – vom Anisakis betroffen sind, schien der Behörde nicht mitteilenswert. Wie steht es diesbezüglich etwa mit den Fischzuchten entstammenden Daurades, Wolfsbarschen und Turbots, die heute auch auf den Märkten am Mittelmeer weit häufiger als ihre «wilden» Artgenossen angeboten werden? Mehr noch als für michelingestirnte Köche wären solche Informationen für den Normalverbraucher relevant. Oder soll dieser vielleicht künftig mit dem Stichthermometer am heimischen Herd stehen?
Der ministerielle Erlass nimmt ausschliesslich die Profiköche in die Verantwortung, während sich der private Konsument weiterhin nach eigenem Gutdünken verköstigen oder vergiften kann. Fischliebhaber pflegen einen Fischhändler ihres Vertrauens zu haben, ich etwa «meine» Enriqueta in der Santa Caterina. Und eine solche Marktfrau und Künstlerin der Fischzerlegung wirkt nun einmal glaubwürdiger als eine Gesundheitsministerin, die vielleicht seit der Anatomiestunde nie mehr einen Fisch ausgenommen hat und es nun dennoch als ihre Mission betrachtet, das ahnungslose Volk vor den Gefahren des Anisakis zu bewahren. Dieser aber befällt das Fleisch eines Fisches erst, wenn dieser nicht mehr frisch ist bzw. die Innereien nicht rechtzeitig entfernt wurden.
Meine bloss flüchtigen Recherchen haben ergeben, dass ähnliche Vorschriften, wie sie nun in Spanien gelten, in den USA (denen man in Sachen Esskultur nicht unbedingt nacheifern möchte) schon länger in Kraft sind. Des weitern aber auch, dass sogar die japanische Alltagskost, genauer der zu Sushi und Sashimi zu verarbeitende Fisch, zuvor mehrheitlich flash frozen wurde – eine Gefriermethode, die den Geschmack nur unwesentlich beeinträchtigt. Über die entsprechenden nitrogengekühlten Apparate verfügen auch Spaniens Grosshändler, für die Einzelkämpfer im Gastgewerbe sind sie jedoch kaum erschwinglich. Über solche Details hat sich das Ministerium, das frischen Fisch auf Spaniens Tellern nur noch durchgebraten (in schwammigem Amtsspanisch: «correctamente cocinado») dulden will, offenbar keine Gedanken gemacht. Sein Erlass ist ein Pfusch, wenn nicht, glücklichenfalls – wie schon das Anti-Raucher-Gesetz – schlicht eine Farce.