ceci n'est pas une blague
Markus Jakob
Gläserner Kommunikations-Konvent

Rafael de la Hoz’ geheimnisvolle Raumgeometrien für Telefónica in Madrid

Madrids rasante Entwicklung hat gerade im privilegierten Norden diffuse, von der Spekulation verunstaltete Stadträume hervorgebracht. In dieser in Autobahnschlingen erstickenden Peripherie liegt in sich gekehrt, eine gläserne Insel, der weitläufige neue Firmensitz des Kommunikationskonzerns Telefónica.

Laut der Rating-Agentur Standard & Poor’s nimmt Madrid unter den Schaltzentren der Weltwirtschaft heute den sechsten Rang ein. Die geballte Finanzmacht hat auch im Stadtbild ihre Spuren hinterlassen, zumal Spaniens Wachstum starkauf der boomenden, nun ihren absehbaren Einbruch erleidenden Bauwirtschaft basierte. Für die vier jüngst vollendeten, je knapp 250 Meter hohen Wolkenkratzer im Madrider Norden zeichnen so renommierte Firmen wie Norman Foster (rechts) und Pei Cobb Freed verantwortlich. In formaler Hinsicht interessanter ist der einzige von einem spanischen Architekten, Carlos Rubio, projektierte Turm; von routinierter Eleganz jener Cesar Pellis (unten links). Den Deal eingefädelt hatte der Bauunternehmer und einstige Präsident des Fussballvereins Real Madrid, Florentino Pérez. Dem Klub trug er durch die Umwidmung und den Verkauf seines Trainingsgeländes über 500 Millionen Euro ein. Acht Jahre später gehören die «galaktischen» Fussballer Figo, Ronaldo, Zidane und Beckham, erste Aktivposten dieses Geschäfts, zum Alteisen, indes die vier stählernen Recken die Madrider Skyline noch auf lange Sicht dominieren werden. (Mehr dazu in Kürze.)


Ungewisser ist ihr kommerzieller Erfolg – Madrids Bedarf an Büroflächen ist gedeckt, und nur bei Rubios Bau wurde eine partielle Hotelnutzung vorgesehen. Für viele Unternehmen scheint Höhe als Statussymbol ausgedient zu haben, gelten am Bau ablesbare Hierarchien nicht mehr als repräsentativ. So plant BBVA, Spaniens zweitgrösste Bank, den Verkauf des 1971 von Saenz de Oiza entworfenen, bis heute elegantesten Madrider Hochhauses, um ihren Hauptsitz aus dem 107 Meter hohen Glasturm an der Castellana in die Peripherie zu verlegen – wie vor ihr schon der Banco Santander.


Spaniens expansionsfreudigstes Finanzinstitut liess sich vom US-Postmodernisten Kevin Roche 15 Kilometer vor der Stadt eine ganze Konzernsiedlung inklusive Golfplatz errichten. Inzwischen ist die Bank, die klugerweise kurz vor dem Platzen der Immobilienblase sämtliche Liegenschaften abgestosssen hat, hier zur Miete untergebracht.In die Breite statt in die Höhe strebt auch der in diesem Frühjahr bezogene Distrito C von Telefónica. Organisatorisch basieren beide Cluster auf einem ähnlichen Konzept, in architektonischer Hinsicht hingegen trennen sie Welten. Der einstige Staatsbetrieb, seit seiner Privatisierung zum Weltkonzern aufgestiegen, sah sich bei der Planung des neuen Firmensitzes durch das eigene bauliche Erbe herausgefordert.


Das von Ignacio de Cárdenas entworfene Edificio Telefónica, 1927 für kurze Zeit Europas höchster Bau, schliesst das erste Teilstück der Gran Vía triumphal ab, deren neobarocken Prunk es nicht verleugnet, jedoch der imposanten, an amerikanischen Vorbildern orientierten Struktur unterordnet.

Um sämtliche Madrider Abteilungen mit ihren 12’000 Mitarbeitern unter einem Dach zu vereinen, wählte Telefónica ein Grundstück in der Überbauung Las Tablas. Das längliche Rechteck, mit 18 Hektaren so gross wie der Tiananmen-Platz, wird von vier würfelförmigen Ecktürmen gefasst, die der Anlage aus der Ferne etwas Wehrhaftes verleihen – myteriöse Festung in diffuser Umgebung, fremdartig gerade durch die Klarheit ihrer Konturen. Dem hermetischen Anschein zutrotz erweist sich indessen ihre Durchlässigkeit als Grundmerkmal. Um die vier elfgeschossigen Turmbauten öffnen sich, durch ihre unterschiedliche Gliederung charakterisiert, ebensoviele Zugangsbereiche; und längsseits – stadtseitig – lädt ein fünfter, der Haupteingang, unter dem Direktionsgebäude hindurch ins Innere des Gevierts. Wie eine Pforte in eine andere Welt gibt diese präzis gerahmte Passage den Blick auf das nun erst seinen eigentlichen Reichtum entfaltende Ensemble frei.


Im weitläufigen Innenhof, Staffelung sich verschränkender Flächen, bildet der Teich in der Mitte den ruhenden Pol. Ebenso sind die elf drei- bis siebengeschossigen Baukörper, die die Parkanlage seitlich umschliessen, Elemente einer zugleich heterogenen und unitären Ordnung. So differenziert sie bestimmte funktionale Anforderungen erfüllen, so leicht fügen sie sich in die übergeordnete Geometrie: Fragmente eines in sich geschlossenen Ganzen, zusammengehalten durch die grosse architektonische Geste des das ganze Geviert umlaufenden Flugdachs – Widerspiel der Wasserfläche und nebenbei Europas grösste in ein Gebäude integrierte photovoltaische Anlage.

Dieses einen Kilometer lange schwebende Band bewirkt, indem es auch die zwischen den niedrigeren Bauten und den Ecktürmen sich öffnenden Plätze und versenkten Patios überkragt und diese durch monumentale Himmelfenster in Licht und Schatten taucht, erst die räumliche Verzauberung, die in der Verschränkung der Volumen vorgebildet ist. Wenn der Distrito C sich durch seine kastellartige Erscheinung von der unansehnlichen Umgebung abschottet, um dann desto lieblicher zum Verweilen in seinem Patio zu verlocken, so wird man auf der promenade architecturale zunehmend durch etwas anderes in Bann gezogen. Trotz seinen ganz andern Dimensionen, und obwohl durchwandelt von an ihren Handys hängenden Konzerndienern, wirkt er geheimnisvoll wie ein mittelalterliches Kloster.

Rafael de la Hoz – Sohn des gleichnamigen, aus Córdoba stammenden Architekten, dessen Renommee er nicht erst mit diesem Meisterstück gerecht wird – hat solch klösterliche Reminiszenzen bewusst gesucht. Die innere Organisation der 400 000 Quadratmeter Nutzfläche kann hier nur gestreift werden. Sie ist gleichfalls ökologischen Grundsätzen und der einem Kommunikationskonzern gebührenden Flexibilität und Transparenz verpflichet, zumal die meisten Mitarbeiter höchstens die Hälfte ihrer Zeit an ihren angestammten Arbeitsplätzen verbringen.

Es ist eine vollkommen gläserne Welt, in der sie sich bewegen. Denn mehr noch als das Flugdach verleiht das modulare, aus 4×2 Meter messenden Scheiben gebildete Fassadensystem der Anlage ihren einheitlichen Charakter. Der Baustoff Glas wird dabei in verschiedenen Beschaffenheiten verwendet. Die doppelte Haut kombiniert transparente mit eigens für dieses Projekt entwickelten serigrafierten – und daher von aussen opak erscheinenden – Elementen, während die obsessiv quer dazu auskragenden Brisesoleis fast immateriell wirken. Die Nuancen der Lichtbrechungen, die so im Lauf des Tages das Geviert umspielen, sind von höchstem ästhetischen Reiz.

Mit diesem von Glas und nichts als Glas umschlossenen Gartenhof hat Madrid einen seiner schönsten Aussenräume gewonnen. An Wochenenden wird er denn auch von den in dieser Hinsicht nicht verwöhnten Anwohnern aufgesucht, ist er doch im Gegensatz zum Banco-Santander-Komplex öffentlich zugänglich und mit der Metrostation «Ronda de la Comunicación» ans öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen. Kein Golfplatz hier, aber Cafeterias, Läden, ein Fitnesscenter und die in die Ecktürme geschnittenen Terrassen tragen zum urbanen Charakter bei, den die Umgebung schmerzlich vermissen lässt. Auch die ferne Silhouette der vier neuen Wolkenkratzer mutet, aus dem Schatten des Flugdachs betrachtet, eher als monströser Auswuchs einer Metropole an, vor deren Gefrässigkeit nur noch solche Klosteranlagen für Digitalmönche Schutz bieten.

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