ceci n'est pas une blague
Markus Jakob
Catalunya, das unbekannte Wesen

Ich möchte hier nicht einen Friedhof für refüsierte Artikel einrichten, und im Grunde würde das Thema der katalanischen Heimattümelei eh am besten in der Ewigkeit deponiert – aber nun stelle ich den nicht NZZ-genehmen Text, der nichts, aber auch gar nichts mit Architektur zu tun hat, halt doch ins Netz. Hier noch der Link auf den darin erwähnten Blog von Arcadi Espada:

Das Unbehagen der katalanischen Intelligenz an der obwaltenden Heimattümelei

Während in Madrid das neue katalanische Autonomiestatut mit Ach und Krach über die Bühne geht, verschafft sich in Katalonien der Überdruss an der nationalistischen «Besessenheit» der eigenen Politiker zunehmend Gehör; weiterhin überdröhnt freilich von der Litanei, gegen die er anrennt.

Ein Vierteljahrhundert lang dominierte der nationalistische Tausendsassa Jordi Pujol die katalanische Politik. Als endlich im Herbst 2004 eine Linkskoalition die Regierungsgeschäfte in Barcelona übernahm, atmeten jene auf, die des Landesvaters nimmermüder Vaterländerei überdrüssig waren. Man hoffte auf einen Ausbruch aus der geistigen Engnis, die sich das Land durch die fortwährende Beschwörung der katalanischen Identität und den sorgsam gehegten Opferstatus selbst verordnet hatte.

Gewiss, von ihren patriotischen Wallungen werden viele Katalanen noch lange kaum zu heilen sein. Doch der schien nun Tag gekommen, da die Heimattümelei in die Privatsphäre zurückgedrängt würde. Gross war daher die Enttäuschung, als auch die Linke alsbald dieselben symbolischen Fragen ins Zentrum ihrer Politik rückte. Nicht nur wirken diese nach der langen nationalistischen Hegemonie heute abgedroschener denn je; sondern längst ist ja auch die Dezentralisierung Spaniens weiter fortgeschritten als in manchem föderalistischen Staat.

In seinem Entwurf zu einem neuen Autonomiestatut neigt das katalanische Parlament indessen einem asymmetrischen Föderalismus zu und beansprucht für Katalonien Sonderrechte, ohne seinen Einfluss auf den Zentralstaat deswegen aufzugeben: ein Ding der Unmöglichkeit. Um so leichter fällt es dem oppositionellen Partido Popular (PP), sich als Hüter der spanischen Einheit und der Verfassung von 1978 (die er einst bekämpfte) zu brüsten. Tristes Fazit: in der Konfrontation zweier gleicherweise anachronistischer Extreme droht alle Vernunft aufgerieben zu werden.

Ein einig Volk von Chauvinisten?

Der Satzungsentwurf wurde von 89 Prozent der katalanischen Parlamentarier gutgeheissen. Niemand hat das «Katalarifari», die hohle Prosa dieses Textes, gnadenloser seziert als der katalanische Journalist Arcadi Espada in seinem vielgelesenen Weblog. Wurden die nationalistischen Prätentionen inzwischen von der Regierung Zapatero auch zurückgestutzt, so sind die wabernden Phrasen des Entwurfs doch ein bedenkliches Symptom. Es geht darin ein mythisches, von einem unbeugsamen Willen beseeltes Wesen namens Catalunya um. Offenbar mit Intelligenz begabt, hat es, so der Text, «eine Kultur und eine Sprache definiert, eine Landschaft modelliert, hat andere Sprachen und kulturelle Kundgebungen grosszügig in sich aufgenommen» und unentwegt «den Kampf für demokratische Freiheiten ausgefochten». Eine von allen historischen und gesellschaftlichen Realitäten so abgehobene Kreatur musste freilich den Argwohn anderer intelligenter Wesen wecken, nicht zuletzt in Katalonien selbst. Denn dessen Bewohner sind keineswegs jenes einig Volk von Chauvinisten, das sich seine politischen Repräsentanten erträumen.

Jahrzehntelang wurde den Katalanen von ihrer Obrigkeit eingetrichtert, sie seien eine «Nation». Dennoch halten heute vierzig Prozent von ihnen diese Bezeichnung, mit der auch der Satzungsentwurf paradierte, für ihre Region weiterhin für verfehlt. Das Wortgeklaube erreichte seinen Höhe- bzw. Tiefpunkt bei den Madrider Verhandlungen um die Aufnahme des ominösen Begriffs in das neue Statut. Der Text operiert nun wie bisher mit der anscheinend schwächeren Bezeichnung «Nationalität», doch hat man in der Präambel die Bemerkung eingeschmuggelt, das katalanische Parlament habe «mit seiner Definition Kataloniens als Nation dem Gefühl und dem Willen der katalanischen Bürgerinnen und Bürger» Ausdruck gegeben. Ungesagt bleibt, dass nahezu die Hälfte von ihnen dieses Gefühl nicht teilt.

Dafür herrscht mittlerweile im restlichen Spanien das Gefühl vor, in jedem Katalanen stecke im Grunde ein katalanischer Nationalist. Das einst hohe Prestige des Landes in Spanien – als dessen industrieller, auch kultureller Motor – hat darunter stark gelitten. Was jene nicht anzufechten scheint, für die permanente Händel mit Madrid politisch rentabel sind. Einige der seit Jahren gegen das offzielle Zerrbild anschreibenden Intellektuellen – neben dem erwähnten Arcadi Espada etwa der Schriftsteller Felix de Azúa und der Theatermacher Albert Boadella – haben sich nun zu einer Bürgerbewegung formiert, die als «post-nationalistische» Linkspartei eine Alternative für weite, im katalanischen Parlament heute nachweislich unterrepräsentierte Bevölkerungskreise zu werden beansprucht.

Die Schriftstellerin Pilar Rahola, deren selbstkritischer «Catalanismo» die Ausnahme ist, hat unlängst auf das unterschiedliche Image Barcelonas und Kataloniens hingewiesen. Während die Stadt (in deren Einzugsgebiet sich zwei Drittel der Einwohner ballen) als cool und kosmopolitisch gilt, wird die Region als eher dumpfig, wenn nicht einfach als lästiges Problem wahrgenommen. Der sozialistische Politiker Pasqual Maragall, der als barcelonesischer Bürgermeister mit klaren Ideen hervorgetreten war, steuert nun als Präsident der Generalitat de Catalunya einen eher erratischen Kurs: als wäre die Last der «Nation» auch ihm zu schwer. Im übrigen stehen bei dem Statut nicht nur symbolische, sondern mehr noch finanzielle Fragen auf dem Spiel. ¿Catalunya es una nación? «Catalunya es una financiación», kalauert Arcadi Espada.

Klassenzimmer gewonnen, Pausenhof verloren

Die katalanische Identität klammert sich, abgesehen von der Folklore, vor allem an die Sprache. Nach einer Glanzzeit im Mittelalter praktisch zum Dialekt verkümmert, wurde Katalanisch in der katalanischen «Renaixença», Ende des 19. Jahrhunderts, wieder zur Hochsprache getrimmt. Hinderlich war ihrem Wiederaufleben aber alsbald Francos auch sprachlich rigoroser Zentralismus, seit den 1950er Jahren zudem die die Bevölkerung fast verdoppelnde Immigration aus spanischsprachigen Regionen. Im Gebrauch, zumindest mündlich, liegen beide Sprachen heute gleichauf. Als Schriftsprache wird Spanisch trotz der obligatorisch auf Katalanisch erfolgenden Einschulung weiterhin von der Mehrheit vorgezogen. Dass für die auf zwölf Prozent angewachsene und weiter zunehmende ausländische Bevölkerung die Weltsprache Spanisch und nicht Katalanisch die lingua franca ist, versteht sich von selbst. Daran wird keine Sprachpolizei und keine noch so gezielte Förderungspolitik viel ändern können. Wie es ein katalanischer Politiker resigniert ausgedrückt hat: «Wir haben das Klassenzimmer gewonnen, aber den Pausenhof verloren.»

All das hindert seinesgleichen nicht daran, Katalanisch im Satzungsentwurf nicht nur wie bisher als die dem Land «eigene», sondern überdies allen Bewohnern «gemeine» Sprache zu bezeichnen. Der antikatalanischer Gefühle unverdächtige Dichter Pere Gimferrer hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, das Wort «eigen» wäre genauerweise durch «autochthon» zu ersetzen. Stattdessen insistiert das neue Statut darauf, die Kenntnis dieses Idioms von einem Recht – wie bisher – in eine Pflicht zu verwandeln. Für wen? Da der Begriff «Katalanen» keine rechtliche Verbindlichkeit hat, werden Katalanischkenntnisse hinfort all jenen abgefordert, die sich «in Katalonien aufhalten». Will man vielleicht die jährlich vierzehn Millionen Touristen mit einem Sprachtest empfangen? Der Satzungsentwurf strotzt von solchen Absurditäten, macht dadurch jedoch ein tieferliegendes Problem deutlich: jene obsessive Selbstbeweihräucherung, mit der katalanische Politiker ihrem geliebten Land letztlich eher schaden.

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.