Man wird mich zweifellos des schwerenöterischen Machogehabes bezichtigen, wenn ich sage, Carme Pinós sei Barcelonas schönste, wunderschönste Architektin. Ich habe sie vor Jahren in der Gimlet Bar kennengelernt, traf sie dann irgendwo im entlegensten Hinterland von Alicante. Petrer, so hiess das Kaff, wo sie eine Fussgängerpasserelle über ein ausgetrocknetes Flussbett baute. Es war aber leider nicht so romantisch, wie es klingt.
Ich kenne auch ihr Büro, Ecke Vía Augusta/Diagonal. Eine hochherrschaftlichere Adresse kann man sich schwerlich denken. Ein Wahnsinnsapartment in einem Gründerzeitbau, die Korridore so breit wie anderswo die Zimmer. Ihre Wohnung hat sie auf demselben Geschoss – ich habe sie natürlich nicht zu Gesicht bekommen.
Carme Pinós war Enric Miralles’ erste Partnerin (wie konnte er sie nur verlassen? Ah… vielleicht war’s ja sie) und projektierte mit ihm von 1982 bis 1991 einige seiner fabelhaftesten Bauten. Namentlich bei der Escuela Hogar in Morella, aber auch beim Friedhof Igualada (wo Miralles begraben liegt) steht ihr Einfluss ausser Zweifel. Dann startete sie allein eine neue Karriere. Das ging lange eher harzig (Passerellen in der Wüste), aber unlängst gewann sie gegen zwanzig Rivalen den Wettbewerb für die Neugestaltung der Plaça de la Gardunya (hinter der Boquería, inbegriffen ein Neubau für die Kunstschule La Massana), ein Projekt, auf das hier bei höherem Kenntnisstand zurückzukommen ist. Derzeit ist auch ihre Website gerade im Umbau.
Letztes Jahr konnte Carme Pinós in Guadalajara (Mexiko) ihr bisher wichtigstes Einzelprojekt vollenden, die 13-geschossige Torre Cube. Schon fast ein Wahrzeichen der 4-Millionen-Stadt. Es entwickelt sich um drei Erschliessungskerne aus Stahlbeton, die zugleich die tragende Struktur bilden, von der die Geschosse auskragen. Durch die Lücken der fehlenden Geschossflügel fällt Licht in das leere, offene Zentrum des Gebäudes, zugleich kommen sie seiner natürlichen Belüftung zustatten – eines der Anliegen der Architektin.