Chinesen treten – siehe das Sommerpotpourri – nicht nur als Masseure auf den Plan. Diesen Sommer haben sich auch chinesische Touristen erstmals in rauhen Mengen im Stadtbild bemerkbar gemacht. Und dann natürlich die Immigranten. In ganz Spanien sollen es rund 100’000 sein, konzentriert auf die drei Orte Madrid, Barcelona und die barcelonesische Vorstadt Santa Coloma de Gramanet. Letztere gilt als Spaniens eigentliche Chinatown. Ich habe mich heute dort umgesehen. Endstation der Metrolinie 1, die den trefflichen Namen Fondo trägt. Ein liebenswürdiger Ort. Fein hergerichtete Strassen, Plätze, Pärke – eben das, was den unlängst besuchten neapolitanischen Vorstädten so bitterlich fehlt. Und in diesem Quartier nun also auf einmal ein chinesischer Bevölkerungsanteil, der, den Passanten wie den Geschäften nach zu schliessen, mindestens ein Viertel beträgt. Natürlich gibt es auch andere Immigranten, so dass man – vergleiche die Bilder – chinesische Jungs beim Verspeisen von Kebabs und junge Chinesinnen vor arabischen Phone Centers sieht (die hier Locutorios heissen und deren es in Barcelona mittlerweile einige Hundert, wenn nicht Tausende geben muss).
Santa Coloma. Bevölkerungszahl 1960: 32’590. 1977: 143’232. 2001: 116’220. Seither durch die Immigration wieder zunehmend. Sieht alles fast zu idyllisch aus hier; zumindest sind die Konflikte, die eine so rapide Immigration in der Nachbarschaft zweifellos auslöst, bisher unter der Schwelle geblieben, die sie für die Medien interessant macht. Auch die bislang ansässige Bevölkerung setzt sich ja zum grössten Teil aus Einwanderern zusammen, südspanischen nämlich.
Zurück ins Stadtzentrum. Die Metrolinie 1 führt direkt zur Station Triumf und mithin in Barcelonas traditionelles Textilviertel um die Ronda San Pedro und die Calle Trafalgar. Es ist binnen weniger Jahre in chinesische Hand übergegangen. Dutzende von En-gros-Handlungen, aus deren Beständen seit Jahrzehnten halb Spanien eingekleidet wurde – gleichsam der Überrest der einst so mächtigen katalanischen Textilindustrie – tragen nun chinesische Namen. Chinesen schieben Stapel von mit Klamotten gefüllten Kartons herum, genauso wie in den seit Jahrzehnten mit chinesischen Konfektionsateliers gefüllten Hinterhöfen des 2ème Arrondissement in Paris.
Zuvor hatten Chinesen in Spanien fast ausschliesslich als Speisewirte gewirkt; etwa 4000 Chinarestaurants soll es in dem Land geben. Auch viele der unzähligen Japanrestaurants, die der Nachfrage entsprechend in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen, werden in Wirklichkeit von Chinesen geführt. Der chinesische Unternehmergeist kommt schon darin zum Ausdruck, dass etwa 15’000, d.h. fast jeder sechste der offiziell gemeldeten Immigranten, als selbständiger Unternehmer fungiert.
Ein Grossteil dieser Immigranten stammt übrigens aus ein und derselben Stadt, Qingtian. Über ein Drittel der Bevölkerung dieses einst 570’000 Einwohner zählenden Küstenorts soll emigriert sein, 45’000 von ihnen nach Spanien. Klar ist, dass es sich um eine straff organisierte, in sich abgekapselte, die Bildung urbaner Legenden geradezu herausfordernde Gemeinschaft handelt.
Dass der spanische Bauboom besonders unersättlich neue Arbeitskräfte absorbiert, konnte dieser Community nicht entgehen. Mittlerweile sind denn auch zahlreiche chinesische Bauarbeiter auf den Baustellen in Barcelonas Vorstädten aufgetaucht. Ich war noch nie in China, bloss im damals (1996) gerade noch britischen Hongkong. Dort habe ich über das Höllentempo, mit dem auf chinesischen Baustellen gearbeitet wird, nicht schlecht gestaunt. Barcelonas murcianische und marokkanische, senegalesische und ukrainische Bauarbeiter werden diese neue Konkurrenz vermutlich bald verfluchen.