Zwei Sonderlinge, in Barcelona verglichen: der Maler Vilhelm Hammershøi und der Filmemacher Carl Theodor Dreyer
Es ist filmgeschichtlich kein Geheimnis, dass Carl Theodor Dreyers Kino von der Malerei seines ein Vierteljahrhundert älteren Landsmanns Vilhelm Hammershøi stark beeinflusst war, und dies von Dreyers erstem Film («Præsidenten», 1918) bis zu seinem letzten («Gertrud», 1964): emotionale Höchstspannung, eingeschrieben in kargste Raumbilder. Vilhelm Hammershøi wie Carl Theodor Dreyer waren künstlerische Einzelgänger, von den Strömungen des Zeitschaffens kaum berührt. Umso verblüffender ist, wie nahe sie einander, ohne sich je begegnet zu sein, in ihren Bildfindungen kamen. Nun führt erstmals eine Ausstellung die beiden Dänen zusammen: ein Grossereignis der Stille und der Leere, zumal die Schau von den katalanischen Architekten RCR Aranda Pigem Vilalta gestaltet wurde, ihrerseits bekannt als zeitgenössische Meister der formalen Vereinfachung und räumlichen Lakonik, die – wie es anders sagen? – der Seele umso mehr Raum lässt.
Malerei als Lichtquelle
Doch lässt sie hier auch den Bildern Raum? Eher nicht, und so wurde die allzu prominente Ausstellungsarchitektur denn auch sehr kontrovers aufgenommen. Sie schleust den Besucher durch ein Labyrinth kubischer Räume, die mit einem gazeartigen Gewebe ausgekleidet sind, dessen hellgraues Muster ihn durch Engpässe, Weitungen und um unzählige Ecken nicht mehr verlässt – in der erklärten Absicht, dem Licht die Hauptrolle zuzuweisen. Durch die Gaze hindurch teilweise schwach wie Kerzenschein auf die Bilder gerichtet, dann wieder in Nischen seitlich grell einfallend (als befinde man sich mitten in einem Vermeer – wenn nicht Hammershøi), soll es von Dreyers Beleuchtungstechnik inspiriert sein und, mehr noch, die Malerei selbst zur Lichtquelle für das abstrakte Raumkontinuum werden lassen – das indessen dadurch seinerseits eine stärkere Präsenz erhält als die Bilder.
Paradox ist auch, dass die Schau nach einem Prolog aus dokumentarischen Memorabilia mit Filmausschnitten aus dem Werk des jüngeren der beiden Künstler einsetzt (die im Begleitprogramm durch eine vollständige, durch eine bemerkenswerte Vortragsreihe aufgewertete Retrospektive ergänzt werden). Hammershøi starb 1916, erst 52-jährig. Kurz danach, bei der grossen postumen Kopenhagener Ausstellung, gelangte der eben seinen ersten Film vorbereitende Dreyer zu einer Erkenntnis, die ihn nicht mehr loslassen sollte. Die bildliche Darstellung einer Raumordnung – Hammershøi sprach von der «architektonischen Attitüde» seiner Bilder – ist wie kein anderer Kunstgriff geeignet, die Psychologie der darin auftretenden Figuren zu spiegeln und mehr noch plastisch begreiflich zu machen. So zog Dreyer aus Hammershøis Raumbegrenzungen – aus dessen Wänden, Fenstern und Türen – eine erste Lehre. Erst die Linie, dann das Licht: jenes Hammershøische Licht, das federweiss auf eine Tür oder Täfelung nahe der Bildmitte fällt, um sich zum Bildrand hin in feinste Grauabstufungen aufzulösen, und das den Atem aufzufangen scheint, an dem unsere Existenz hängt.
Gefangen in ihrer Geborgenheit
Es ist da ja sonst fast nichts: eine Wand, frontal gesehen oder auch schräg; ein zugegeben elegantes Sofa oder ein Tisch, ein Messinglüster allenfalls oder ein anderer älterer Gegenstand; und immer diese Türen, geschlossen oder, öfter, auf Zimmerfluchten sich öffnend. Elf Jahre lang malte Hammershøi nur noch die eigene Wohnung; darin, manchmal, die eigene Frau. In Rückenansicht meist, schwarz gewandet, das Haar hochgesteckt. Der entblösste Nacken leidlich gut gemalt – ungefähr so sinnlich wie der Staub, der auf einem andern Bild, im Raum schwebend, von einem durch das Fenster einbrechenden Sonnenstrahl getroffen wird. Gefangen in ihrer Geborgenheit; geborgen in ihrer Gefangenheit.
Manche Bilder Hammershøis könnten sich auch in Sätze Virginia Woolfs verwandelt haben. Der ihren stockenden Atem mit angstvollem Erleben füllte, war aber Dreyer. Der Vordergrund dieser Interieurs ist oft ganz leer; so wie auch die Landschaften, die Wälder, die Hammershøi zwischendurch denn doch auch malte, stets wie leicht zurückversetzt erscheinen. Als gehörten sie einer andern Welt an; die aber leider, woran wir weder bei Dreyer noch bei Hammershøi zweifeln können, ganz die unsere ist.
Markus Jakob
Bis 1. Mai im Centre de Cultura Contemporània de Barcelona. Katalog 160 S., Euro 15.-.