Spaniens Bösewicht der Woche war für einmal weder ein mit Schmiergeldern um sich werfender Bauunternehmer noch ein korrupter Bürgermeister, sondern der Chef der Luftfahrtgesellschaft Air Madrid, die wie hier gemeldet Mitte Dezember ihren Betrieb eingestellt hat, kurz bevor ihr ohnehin die Lizenz entzogen wurde. Als Grund für letzteres wurden vom zuständigen Ministerium nicht nur die chronischen Verspätungen, sondern auch schwere Sicherheitsmängel genannt. Geprellt sahen sich 300’000 Kunden, die ihre Tickets bereits gebucht hatten: mehrheitlich in Spanien lebende Lateinamerikaner, die über die Feiertage nach Hause reisen wollten, denn Air Madrid bediente vor allem die Südatlantikrouten. Die Zahl der Passagiere, die ihren Hinflug mit Air Madrid noch absolvieren konnten, nun aber selber sehen müssen, wie sie wieder nach Hause kommen, wurde auf 130’000 nach oben korrigiert. Die entsprechenden Bilder von in den Terminals von Madrid und Barcelona, vermutlich auch Quito, Buenos Aires usw. campierenden Menschen füllen dieser Tage die Zeitungen.
Inzwischen wurde bekannt, dass es sich beim Gründer und Direktor dieser Airline, José Luis Carrillo, um einen Selfmademan handelt, der sein Geld zuvor in der Hotellerie und Bauwirtschaft gemacht hat. Also doch wieder so ein Musterknabe der Immobilienbranche, die in Spanien zum Inbegriff der Geldgier und Verderbtheit schlechthin geworden ist. Im Jahr 2006 ist kein Tag vergangen, ohne dass die Presse mindestens einen der Korruptionsfälle ins Licht rückte, die die beispiellose Zubetonierung des Landes (namentlich der Mittelmeerküste und der Umgebung von Madrid) möglich gemacht haben. Zu deren Veranschaulichung sollen zwei Zahlen genügen: Spaniens Zementverbrauch ist annähernd so hoch wie der der siebenmal bevölkerungsreicheren USA, und in Spanien werden jährlich mehr Wohnungen gebaut als in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien zusammen.
Das Zauberwort lautet recalificación: Umwidmung oder, helvetisch, Umzonung. Das spanische Bodengesetz von 1998 gab – indem es alle graduellen urbanistischen Bewertungen und die entsprechenden Befugnisse schlicht abschaffte, um als einziges Kriterium den Marktwert des Bodens zu anerkennen – bis auf einige Schutzgebiete praktisch das ganze Land zur Überbauung frei. Ausgeheckt wurde es natürlich vom Kabinett Aznar, der von 1996 bis 2003 herrschenden, im NZZ-Jargon «konservativ» genannten Rechtsregierung des Partido Popular. Wobei das Wort konservativ in diesem Fall doch ein wenig höhnisch klingt.
Zuständig für Umwidmungen sind die lokalen Behörden: was erst die Schmiergelder, dann den Beton in Strömen fliessen liess. Die jähen Wertsteigerungen – genannt pelotazo oder auf deutsch, im Drogenjargon: Kick – hatten vielenorts Methode. Der archetypische Fall ist Marbella; mehr darüber in dieser Reportage. Näheres zur Madrider Bauwut (aus der noch argloseren Sichtweise des Jahres 2003) hier (.pdf).
Den Ehrentitel als Schurke der Woche macht dem Chef von Air Madrid denn auch ein Lokalpolitiker streitig: Eugenio Hidalgo, der Bürgermeister von Andratx, einem schicken Vorort von Palma de Mallorca, der Mitte Monat wie vor ihm schon etliche seiner Amtskollegen im Knast landete. Er hatte, wie es das Los spanischer Lokalpolitiker zu sein scheint, für Umwidmungen und Baubewilligungen von Promotern und Bauunternehmern Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Euro kassiert (die stets bar entrichteten Bestechungsgelder erklären den auffällig hohen Anteil Spaniens an 500-Euro-Scheinen).
Pikant an dem Fall ist, dass Hidalgo, wie vom Untersuchungsrichter abgehörte Telephongespräche beweisen, kurz vor seiner Verhaftung von seinen Parteikollegen gewarnt wurde und belastendes Material noch vernichten konnte. Er gehört wie die Mehrzahl der inkriminierten Politiker dem Partido Popular an; was freilich keineswegs heisst, dass Sozialisten und Angehörige regionaler Parteien von Sünde frei sind.
Das Finanzministerium will herausfinden, warum
jeder vierte 500-Euro-Schein in Spanien kursiert.