Das Museo del Prado in Madrid ist von Rafael Moneo altmeisterlich à jour gebracht worden
Vom 19. ins 21. und wieder zurück ins 19. Jahrhundert: Unter dem Titel «El siglo XIX en el Prado» eröffnet das Madrider Museum heute seine neuen Ausstellungssäle – Teil der überfälligen, von Rafael Moneo diskret verwirklichten Modernisierung der grossen spanischen Pinakothek.
Dem Purismus des klassizistischen Baus, der seit 1819 das Museo del Prado beherbergt, hatten diverse An- und Umbauten schon länger zugesetzt, vor allem auf seiner Rückseite. An der Frage, wie das Museum dort weiterwachsen könnte, biss sich 1995 denn auch die halbe Weltelite der Architektur die Zähne aus. Ein Fiasko, denn nach Ansicht der Jury setzte keines der annähernd 500 zum Wettbewerb eingereichten Projekte die an sich umstrittenen Prämissen überzeugend um. Aus der Barrage mit zehn Teilnehmern ging drei Jahre später Rafael Moneo, mittlerweile mit dem Pritzker-Preis geadelt, als Sieger hervor: von der Staatsräson selbst, so schien es, als Garant architektonischer Vernunft erkoren.
Das intensive Museum
Wie schwer sich Spanien mit seinem «kulturellen Flaggschiff» tut, erwies sich, als auch Moneos zurückhaltender, der Selbstauslöschung zuneigender und bis zum Verdacht der Willfährigkeit des Architekten modifizierter Entwurf zu scheitern drohte. Für einmal waren sich die Politiker einig geworden, und selbst die katholische Kirche hatte den Parkplatz, auf den sie als Einnahmequelle zunächst nicht verzichten zu können glaubte, zur Überbauung freigegeben: Da erwachte jäh die Liebe der Anwohner zu einer Ruine, der vorher wohl kaum jemand einen Blick gegönnt hatte.
Der seit Jahrzehnten zerfallende barocke Kreuzgang der Jerónimos-Kirche, etwas erhöht auf der Rückseite des «Edificio de Villanueva» gelegen (wie der Prado nun bildungsbürgerlich und trotz den teilweise stümperhaften Eingriffen in Villanuevas schmale Raumsequenz gern genannt wird), bot sich als einziges von diesem aus direkt erschliessbares Grundstück für einen Neubau an. Bizarrerweise ist nun gerade dieser Kreuzgang der exquisiteste (und zweifellos geheimnisvollste) Teil einer Erweiterung, deren Charme sonst hauptsächlich in ihrer Diskretion liegt. Die granitenen Arkaden, im obersten Geschoss des noch unlängst als «Cubo de Moneo» verschmähten Ziegelsteinwürfels rekonstruiert und von diesem ummantelt, scheinen, durch die Glasüberdachung in Zenitallicht getaucht, das durch einen quadratischen, seinerseits hinterleuchteten Schacht in die beiden darunterliegenden Ausstellungsgeschosse fällt, zugleich aus sich selbst zu leuchten.
Späte Modernisierung
An die karge Noblesse von Moneos Innenräumen reicht das Äussere des Baus nicht heran. Die Gliederung der Ziegelsteinfassaden, zweifellos endlos auf die Umgebung abgestimmt, wirkt eben deshalb eher zaghaft. Selbst der ungewöhnliche Portikus, der – nach oben versetzt – dem Altbau buchstäblich die Stirn bietet, gibt diesem Haus kein Gesicht. Darunter bleibt das von der Künstlerin Cristina Iglesias gestaltete Bronzeportal ein schöner, trotz seinen mächtigen Dimensionen anekdotischer Fremdkörper.
Offensichtlich hat sich hier der Architekt nicht selbst ein Denkmal zu setzen versucht, sondern sich ganz den Erfordernissen eines Museums untergeordnet, das seine Modernisierung spät – später als die meisten andern Pinakotheken von Weltbedeutung – in Angriff genommen hat. So spät – und durch teilweise absurde Querelen weiter verzögert –, dass der Prado schon wieder zum Vorreiter werden könnte. Dürfte doch die Zeit der architektonischen Sensationshascherei gerade im Museumsbau allmählich abgelaufen sein, um wieder unprätentiösere und der Sache, nämlich der Kunst, umso besser dienende Räume entstehen zu lassen.
Die zu 70 Prozent ausländischen Besucher mochten mitunter über die Rumpelkammer Prado murren. Antiquiert von der Kasse bis zu den Kartenständern, bot ihnen jedoch kein anderes Museum Meisterwerke der Kunst in so hoher Konzentration. Und so soll es bleiben. Die Nutzfläche ist um 50 Prozent gewachsen, die Sammlung im Altbau aber wird praktisch unverändert präsentiert. Die neuen Säle sind Sonderausstellungen vorbehalten; der Moneo-Würfel nimmt ausserdem ein Auditorium, Werkstätten und andere Technikräume auf. Das Zwischenglied erstreckt sich, verborgen unter einem Buchsbaumgarten, als Raumkontinuum vom Vestibül über den Museumsshop bis zur Cafeteria: ein spitzwinkliges Dreieck, durch einen separaten seitlichen Eingang zugänglich und wie versenkt zwischen dem höher liegenden Jerónimos und dem Altbau, an den es sich schmiegt und in dessen Zentrum die «Sala de las Musas» nun als eigentlicher Verteiler fungiert. Hier und nur hier hat Moneo in den Villanueva-Bau eingegriffen, um dem Prado seinen natürlichen Haupteingang, die «Puerta de Velázquez», zurückzugeben. Nun können die Besucher zwar nicht mehr gleich nach dem Security-Check achtlos an Mantegnas «Hinschied der Muttergottes» vorbeischlendern (oder auch nicht), sondern werden in dem pompejirot stuckierten Saal vom Halbkreis von acht marmornen römischen Musen empfangen. Das wirkt, als möchte der Prado eher nach innen expandieren, die Intensität möglicher Kunsterfahrung jedenfalls nicht ganz verloren geben, und dafür laut seinem Direktor Miguel Zugaza gern auf Filialen in Abu Dhabi oder Las Vegas verzichten.
Zugaza, alles andere als ein Schwarmgeist, hat den Prado auf Kurs gebracht. Bevor er 2001 seine Leitung übernahm, hatte sich das Direktorenkarussell fast im Jahresrhythmus gedreht. Nun, da die umfänglichste Erweiterung des Museums seit seiner Gründung vollbracht ist – 152 Millionen Euro die Kosten –, gibt sich die Eröffnungsausstellung betont introvertiert.
Ein Prado aus dem Prado
Die spanische Kunst des 19. Jahrhunderts, das so turbulent verlief und schliesslich den Niedergang des Landes besiegelte, war bisher nicht der Stolz der Sammlung. Die Mehrzahl der 3000 Werke aus den entsprechenden Beständen wurde an Provinzmuseen ausgeliehen. Einige wenige mochten beiläufige Blicke in der Nachbarschaft von Picassos «Guernica» erhaschen, als das berühmte, 1981 aus New York an das demokratische Spanien zurückgegebene Bild seltsamerweise zunächst im «Casón del Buen Retiro» präsentiert wurde, einer seit Jahren geschlossenen Dépendance des Museums. Sie soll demnächst als Studienzentrum des Museo del Prado neu eröffnet werden.
Nun haben die Prado-Kuratoren knapp hundert Gemälde aus jener Epoche gefiltert – alle perfekt, ohne die anderswo beliebten Grellheiten restauriert –, ergänzt durch einige Skulpturen, und das Ergebnis lautet: Spaniens 19. Jahrhundert war auch in bildnerischer Hinsicht eine fortlaufende Kalamität.
Gerade die lange verpönte, da ideologisch befrachtete Historienmalerei jedoch hat einige herzzerreissende Ikonen hinterlassen: Gisberts «Füsilierung von Torrijos», Morenos «Carlos de Viana», «Juana la Loca» hier gar in zwei grossartigen Versionen. Der ganze Wahnsinn der spanischen Geschichte wurde von Malern, deren Namen im Lande selbst kaum jemand kennt, in diese Gesichter, diese Gesten gestanzt. Es wird aber auch klar: Zwischen Goya und Sorolla (den chronologischen Polen der Ausstellung) brachte Spanien keinen wirklichen Ausnahmekünstler hervor.
Madrazo, dominierende Figur der Jahrhundertmitte, war ein begnadeter Porträtist. Zur Kunstgeschichte trug er eher nichts bei. Allen akademischen Ballast warf nur Mariano Fortuny ab, dessen halluzinogene Miniaturen hier ihre Umgebung – die von Rafael Moneo neu geschaffenen Räume – genauso vergessen lassen wie ein 6 mal 4 Meter messender Historienschinken. Das spricht für Moneos Räume.
Markus Jakob