To make a long tale short: Ich lebe seit Jahren auf einer Baustelle. Erst war’s das Haus, in dem ich zur Miete wohne, das praktisch entkernt wurde. Meine Wohnung blieb als einzige so wie sie war: ein Museumsstück nunmehr.
Gebaut wird jetzt aber auch auf dem Nachbargrundstück. Hier entsteht – nur äusserlich zwar – ein Klon jener einheitlichen Häuserreihen, die das Geviert um den Mercat del Born charakterisieren. Am Parc de la Ciutadella entlang zieht sich, von Arkaden gesäumt, der Paseo de Picasso: die Porxos d’en Fontseré, wie sie auch genannt werden, nach jenem Architekten, Josep Fontseré, der sie geplant hat, von dem aber auch die Markthalle und der Entwurf des Parks stammen, und in diesem wiederum das wunderbare Gewächshaus (Umbracle) sowie die grosse Kaskade, an welcher der junge Gaudí als Lehrling mitarbeitete. Dieser Fontseré konnte hier anscheinend schalten und walten, wie es ihm beliebte.
Es waren die Jahre zwischen dem 1860 angenommenen Plan Cerdá und der Weltausstellung, die 1888 auf eben diesem Gelände stattfinden sollte. Cerdás Stadterweiterungsplan war jenem Fontserés vorgezogen worden. Ein Jahrzehnt später aber konnte dieser seine zwar konventionelleren, zeremonielleren, in konstruktiver Hinsicht indessen sehr modernen Vorstellungen trotzdem grossräumig verwirklichen, ohne auf Cerdás Plan Rücksicht zu nehmen, zudem auf einem für die Stadt in mehrerer Hinsicht bedeutungsvollen Gelände: dem der vormaligen, von den Bourbonen errichteten Festung (daher der Name Parc de la Ciutadella). Ihr hatte seinerseits nach der katalanischen Niederlage im Spanischen Erbfolgekrieg 1714 ein ganzes Altstadtviertel weichen müssen – ein höchst symbolträchtiger Urbanizid, auf den dieser NZZ-Artikel über den Mercat del Born etwas näher eingeht (im Bild der gegenwärtige Zustand).
Ruinen des nach 1714 zerstörten und durch die Zitadelle ersetzten Viertels sind nicht nur in der Markthalle ausgegraben worden, sondern auch, wie ich Tag für Tag von meinem Fenster aus beobachten konnte, auf meinem Nachbargrundstück. Fontserés Überbauungsplan war gerade am Parkrand, zweifellos weil den Erbauern das Geld ausgegangen war, unvollendet geblieben. Der arkadengesäumte Paseo Picasso, diese Rue de Rivoli à la barcelonaise, hatte seine Zahnlücken, die durch schäbige ein- und zweigeschossige Zweckbauten gefüllt worden waren, Ableger des 1972 geschlossenen Grossmarkts. Noch heute gibt es hier einige phantastische En-Gros-Handlungen – Konserven, Bacalao, Hülsenfrüchte in unerahnten Varietäten. Halb grandios, halb verlottert – für mich machte gerade diese Ambiguität den Charme der Strasse aus.
Stadtplaner sehen das anders, ebenso – seit sich das angrenzende Altstadtquartier zum Modeviertel und Liebkind der Immobilienbranche entwickelt hat – Investoren und Promoter. Es war die Stadt selbst, die das fragliche Grundstück (nebst zwei weiteren am Paseo) vor einigen Jahren an den Meistbietenden verkauft hat: zu einem Preis, der damals schon Wohnungen à 6000 Euro pro Quadratmeter voraussehen liess. Inzwischen dürfte ein 100-Quadratmeter-Apartment hier fast eine Million kosten.
Lange hatte sich meine Nachbarschaft aus ziemlich seltsamem Gelichter zusammengesetzt. Dann hatte ich überhaupt keine Nachbarn mehr. Nun werden lauter Bobos hier einziehen. (Heute fand ich im Treppenhaus einen Brief für einen gewissen Thierry Ququ, der schon Post erhält, bevor er seine Wohnung im Prinicipal bezogen hat. Die ersten neuen Nachbarn, die ich mit eigenen Augen sah, waren zwei homosexuelle Briten mit einem Kleinkind.)
Das wird auch im Nachbarhaus nicht anders sein, dessen Rohbau nun vollendet ist. Noch vor einem Jahr scharrten hier Scharen von Archäologen, die den Bau zwar nicht verhindern konnten, aber die Architekten doch zu einer ziemlich vertrackten Fundamentierung nötigten, um die spätmittelalterlichen Ruinen zu verschonen, welche zuletzt – ich traute meinen Augen nicht – sorgsam in weisse Planen gehüllt wurden, so dass in hundert Jahren, wenn es dann noch Altertumsforscher gibt, ein Kollege die altkatalanischen Trümmer wieder in Augenschein nehmen kann. Ruinenbegeisterung nennt man das.
Dann begann der Bau zu wachsen. Monatelang durfte ich tagein tagaus dem Zusägen der Schalbretter lauschen, und endlich erreichte das Skelett das vierte Geschoss und wurde mit einem Attiko abgeschlossen, das mir nun das Entrée, die Küche und das Bad verdunkeln wird. Meine eigene Wohnung ist fast zwanzig Meter tief, die heutige Bauordnung gestattet hingegen nur noch zwölf Meter – unglücklicherweise gerade genug, um den kleinen Lichthof zu schliessen, auf den die zentralen Teile der Wohnung gehen. – Weitere Bilder des Baufortschritts in dieser Galerie.