In Spanien ist Murphys Gesetz – ungefähr: «Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen» – längst in die Alltagssprache eingegangen: «Es la ley de Murphy» (sprich Murfi), murmelt achselzuckend so ziemlich jeder Spanier, wenn mal wieder der schlimmstmögliche Fall eintritt. Auch mir kam das Wort über die Lippen, als Hochparterre International mit unfehlbarer Präzision kurz vor Weihnachten durch ein Serverproblem ausser Gefecht gesetzt wurde, so dass wir Blogeure Ihnen bis am 8. Januar forbidden blieben. Entschuldigung und Prosit Neujahr, gleichwohl.
Schlimmer, als es nun gekommen ist, hätte es übrigens auch für La Paloma nicht kommen können: die behördliche Drohung, den fabelhaften Ballsaal wegen Lärmbelästigung zu schliessen, wurde nach der Silvesterparty (im Bild) wahr gemacht. Das muss man sich mal vorstellen: 103 Jahre lang haben sich hier Barcelonas Nachtschwärmer vergnügt, und nun reichte das Gebelfer einiger (teils wohl neu zugezogener) Nachbarn, um ihnen den Garaus zu machen. Ist nicht vielleicht, kann man sich fragen, solch intolerantes Genörgel die wahre Sittenverwilderung?
Es sei allerdings nicht verschwiegen, dass La Paloma sich in den letzten fünfzehn Jahren stark gewandelt hat. Zwar spielt am frühen Abend (das heisst bis circa um halb zwei) weiterhin eine klassische Tanzkapelle für ein gemischtes und vorwiegend älteres Publikum auf: mehr oder weniger stilsichere Galans, mitgerissene Damen. Anschliessend aber übernehmen die DJs das Kommando, und dann kann es im Innern der Riesenmuschel, erst recht aber draussen in der schmalen Calle del Tigre, schon ein bisschen lärmiger, auch ungesitteter als früher zugehen.
Im Grunde geht es bei der ganzen Affäre wohl nur darum, wieviel die Stadt zur Schalldämmung des Saals beisteuert (obwohl der Strassenlärm sicher mehr Anwohner in Mitleidenschaft zieht). Was ich mir nicht – und was sich in Barcelona eigentlich niemand – vorstellen kann, ist, dass La Paloma auf immer geschlossen bleibt. Jede Wette, in einigen Wochen oder Monaten schiebt man nachts um drei wieder den winzigen Samtvorhang beiseite, der sich im Entrée auf diese Halluzination von einem Saal öffnet.
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Der Paseo de Gracia, die Prachtstrasse par excellence, blieb dieses Jahr ohne Weihnachtsbeleuchtung. Niemand scheint sich darüber aufgehalten zu haben. Während Madrid nun sogar Weihnachtsfeuerwerke veranstaltet, reduziert Barcelona seit zehn Jahren kontinuierlich seinen öffentlichen Weihnachtsschmuck. In Zahlen: der dafür aufgewendete Stromkonsum wurde von 185’000 Euro (1996) auf 47’000 Euro (2006) gesenkt. Die schönen, an den Ramblas baumelnden gelben Ballons; blau leuchtende Schnüre über einigen Einkaufsstrassen sowie einige Überreste traditioneller Motive – das war’s schon. Am Heiligen Abend waren einige der gelben Ballonlampen geplatzt und hingen wie schrumplige Präservative über der Promenade. Es ist also doch noch Hoffnung für diese Stadt. Wenigstens beim Weihnachtsschmuck hat sie den Weg der Vernunft eingeschlagen.
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Jahrelang war die Weihnachtskrippe an der Plaça Sant Jaume eine Spielwiese der Designer. Sah man Ende November den Aufbau in Gang kommen, war man jeweils gespannt, was sie sich wohl wieder hatten einfallen lassen. Oft waren es begehbare kleine Kunstlandschaften. Ob ein Christkind aus Plexiglas oder die Photosilhouetten pakistanischer Butangas-Austräger als Hirten: sosehr hatte man sich daran gewöhnt, hier ein modernes, oft auch gärtnerisch interessantes Belén anzutreffen, dass man diesmal richtig geschockt war. Den erstmals seit wohl zwanzig Jahren war die Installation dem «offiziellen» Krippenverein anvertraut worden, und der stellte denn auch ein furchtbar konventionelles, todlangweiliges Gebilde auf den Platz. Skandal! Über die Installationen der Designer konnte man immerhin geteilter Meinung sein. Hätte der Krippenverein, frage ich mich, nicht die Chance gehabt, deren Kaprizen durch eine wirklich schöne konventionelle Darstellung ad absurdum zu führen? Er hat sie nicht genutzt.
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99 Prozent der Spanier verbringen den Jahreswechsel vor dem Fernseher, um zu jedem der zwölf von der Puerta del Sol in Madrid übertragenen Glockenschläge eine (angeblich Glück und Segen bringende) Weintraube in sich hineinzustopfen. So will es die furchtbare Tradition. Barcelona bot diesen Silvester eine wunderbare Alternative. Wir sahen uns die Première, ohne an Weintrauben zu ersticken, von unserer – ehem – Terrasse aus an: