[2001]
Spaniens Nationaler Bewässerungsplan und seine Opponenten – ein Bericht aus dem Ebro-Delta
Der Satz ist fast schon eine Binsenwahrheit: «Die Kriege der Zukunft werden um Wasser geführt werden.» Möglicherweise werden es auch nur Handelskriege sein, denn Wasser, Inbegriff des Gemeinguts, ist im Begriff zur Handelsware in der Hand multinationaler Konzerne zu werden. Ein kostbares Gut: Alle Flüsse dieser Erde zusammen enthalten nur 1,5 Millionstel der gesamten Wasserressourcen: 0,00015 Prozent. Dass Trinkwasser knapp ist, erfahren heute schon Millionen Menschen in der Dritten Welt am eigenen Leib. Von Riszard Kapuscinski stammt das Aperçu, dass es für Schwarzafrika kaum eine segensreichere Erfindung gab als die des Plasticeimers. Zwar muss das Trinkwasser nach wie vor oft kilometerweit herbeigeschleppt werden, aber wenigstens der Behälter hat nun praktisch kein Gewicht mehr.
Auch in Europa gibt es mittlerweile Menschen, die sich auf diese Weise mit Wasser versorgen müssen. Wir trafen sie am Ende dieser Reise entlang der spanischen Mittelmeerküste, zwischen den Gewächshäusern von Almería, in einer unwirklich anmutenden, vollkommen künstlichen Landschaft; wurde doch hier – Christo müsste vor Neid erblassen – ein etwa fünfzig Kilometer langer Küstenstreifen fast lückenlos mit Plasticplanen überdeckt. Darunter reifen die Tomaten, Peperoni und Melonen, von denen sich halb Europa ernährt. Die Arbeit wird überwiegend von Immigranten verrichtet. Die Elendesten von ihnen hausen unter Bedingungen, die aller Menschenwürde spotten. Kilometerweit nichts als Treibhäuser; kein Strom, auch kein Wasser, was um so grausamer und absurder anmutet, als hier – im trockensten Winkel des Kontinents – jede Tomatenstaude künstlich bewässert wird. Doch davon mehr in einer zweiten Reportage. Dort wird es um die Nutzniesser des Nationalen Bewässerungsplans gehen, der im Juni vom spanischen Parlament verabschiedet wurde; hier hingegen um den PHN (Plan Hidrológico Nacional) selbst, um seine Opponenten und deren Argumente.
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Las dos Españas. Der Ebro entspringt im Kantabrischen Gebirge, unweit der Atlantikküste, und mündet im Süden Kataloniens ins Mittelmeer: 927 Kilometer, parallel zu den Pyrenäen, vom feuchten Norden durch das trockene Aragonien bis an jene Küste, an die alles drängt, gerade weil dort kaum je Regen fällt.
Bisher war mit den «dos Españas», den beiden Spanien, meist die ideologische Spaltung des Landes in eine national-klerikale und eine anarchisch-rote Front gemeint, wie sie im Bürgerkrieg aufeinanderprallten. Aber vielleicht ist für die Zukunft der Gegensatz zwischen dem feuchten und dem trockenen Spanien gravierender. Nun verspricht der Bewässerungsplan der spanischen Rechtsregierung, dieses Ungleichgewicht ein für allemal zu beheben. Milliarden und Milliarden Franken sollen in – nicht zwei, nicht vier, nicht zwölf, sondern: 112 neue Staudämme und 26 Meerwasserentsalzungsanlagen (16 davon auf den Inseln) investiert werden, ausserdem in Kanäle und Pipelines, um bis zum Jahr 2008 die ganze Mittelmeerküste von Barcelona bis Almería mit Wasser aus dem Ebro zu versorgen. Vorläufig hat der «trasvase», wie die geplante Umleitung auf spanisch heisst, das Land jedoch nur erneut in zwei Hälften geschieden: die der Befürworter des PHN und die seiner erbitterten Gegner. Die Heftigkeit der Auseinandersetzung um ein so «trockenes» Thema wie Wasser mag dabei zunächst überraschen. Zu den Grossdemonstrationen in Saragossa, Barcelona und Madrid marschierten dieses Frühjahr jeweils Hunderttausende auf. Am vehementesten ist der Widerstand dort, wo die vom Trasvase direkt Betroffenen leben: am Unterlauf des Ebro, und besonders im Delta.
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Histoires d’eau. Auf einer kleinmassstäblichen Spanienkarte ist das Ebro-Delta nur ein Zipfel, ungefähr in der Mitte zwischen Barcelona und Valencia. Genauer betrachtet, ist es ein sogenanntes Flügeldelta, das mit seinen Landzungen und Lagunen an ein Meeresungeheuer erinnert. Schon die Umrisse lassen keinen Zweifel darüber, dass es ein lebendiger Organismus ist.
Auf einem Grossteil der Fläche wird heute Reis angebaut, namentlich auch die seltene, da nicht sehr ertragreiche, dafür von Kochkünstlern auf der ganzen Welt geschätzte Sorte «Bomba». Als wir im April erstmals hinfuhren, war da nichts als eine bräunliche Ebene, in meist längliche und von schmalen Kanälen gesäumte Felder geteilt. Ende Mai waren diese Gevierte geflutet worden, und in den herrlichsten Grünschattierungen schillernd hatte darin der Reis zu spriessen begonnen. Im Juni ist es dann eine einzige, grün wogende Fläche, in der vereinzelt die meist kleinen weissen Gehöfte wie geometrische Halluzinationen erscheinen.
Die frühen Siedler, heisst es, sind zu Tausenden am Sumpffieber gestorben: in jener Zeit, zwischen 1860 und 1912, als die Bewässerungskanäle angelegt wurden. Heute werden im Delta 25 000 Hektaren bewirtschaftet. Gut die Hälfte davon ist in der Hand einiger weniger, meist ortsfremder Latifundisten, den Rest teilen sich 7 200 in Genossenschaften organisierte Kleinbauern. Das Delta ist aber auch Europas zweitgrösstes Feuchtbiotop (nach Doñana). Die Illa de Buda darf nur mit einer Sondergenehmigung betreten werden. Der Strandtourismus hält sich in den Grenzen, die ihm die restriktiven, einem Naturschutzgebiet gebührenden Baugesetze auferlegen. Wer nicht mit dem Fahrrad unterwegs ist, unternimmt etwa eine Tour auf einem der Ausflugsschiffe. Da hört man schon am Landungssteg, während man auf den majestätischen Fluss blickt, die ersten Meinungen zum Plan der Regierung, fünfzig Kilometer landeinwärts den grössten Staudamm Spaniens zu errichten und dort jährlich 1050 Kubikhektometer Wasser abzuzweigen: «Und darüber entscheiden die, die bloss ihren mickrigen Manzanares haben» – die in Madrid eben.
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Dann lernten wir Enric kennen. Enric Pedret handelt mit Bacalao, ist Präsident des Ruderklubs Tortosa und weiss einfach alles über den Ebro. Er weiss auch alles über Bacalao, aber das tut hier leider nichts zur Sache, denn Kabeljau wird ja aus dem hohen Norden importiert. Als Spezialität des Deltas gilt eher Aal: sonnengetrocknet, nicht etwa geräuchert. Aber auch frisch zubereitet ist er, wenn er so von seinen Gräten flutscht, eine Delikatesse. Ausserdem gibt es hier eine kleine Glasaalindustrie. Glasaale, spanisch «angulas», sind die in den Tiefen der Sargasso-See – nördlich der Antillen – geborenen und bis an Europas Küsten gewanderten, dort sofort dem Süsswasser der Flüsse zustrebenden Jungaale, die auf gewissen Touristenmenus «little baby-eels» heissen und deren Kilopreis zwischen 400 und 800 Franken liegt. Was uns nicht nur aufgrund der wackeren Schwimmleistung dieser kaum zwei Centimeter langen Tierchen, sondern auch wegen ihrer unvergleichlichen Konsistenz gerechtfertigt scheint. Sie werden im Winter gefangen, angelockt durch Scheinwerfer, die nachts auf den Fluss gerichtet werden. Enric bekam leuchtende Augen: Wie eine Landebahn sehe dann der Ebro aus, mit all den talwärts gerichteten Lichtkegeln.
Wir assen – dank Enrics kundiger Führung – noch anderes im Delta: Seebrennnesseln (eine Art Qualle), Froschschenkel, Entenleberbrösel (und einen Schenkel dieser Prachtvögel, die vor dem Restaurant L’Estany an der Lagune Encanyissada paradieren), die Rogen einer besonderen Karpfensorte und – die waren zwar nicht besonders – auch die fritierten Spermien derselben.
Aber ich schweife ab, will sagen: ich greife vor – weiter als dieser Artikel je gelangen wird. Wir hatten Enric vormittags in der Bar Nuri in einem der wenigen im Delta selbst gelegenen Dörfer, Jesús i Maria mit Namen, kennengelernt. Da trank er seinen tallat. Natürlich gäbe es auch über einen so wunderbaren Brauch wie den, den Milchkaffee im Glas zu trinken, mancherlei zu sagen; aber jetzt bitte wirklich ins kalte Wasser. Wir hatten uns mit Enric am Landungsplatz des Ruderklubs in Tortosa verabredet, um ein wenig auf dem Fluss herumzuschippern. Dass auf das winzige Schlauchboot ein 30-PS-Evenrude montiert war, entging unserer Aufmerksamkeit; bis wir beinahe über Bord kippten, als Enric Gas gab. Vorerst ging’s flussabwärts: vorbei an dicht bewachsenen Auen, vorbei an einer Insel, von der uns einige Stiere entgegenstarrten, bis Enric in der Nähe eines Pumpwerks plötzlich den Motor abstellte: «Von hier bis zur Mündung sind es noch gut dreissig Kilometer. Aber wir sind praktisch auf Meereshöhe, und deshalb dringt bis hierher Salzwasser in den Fluss». Er warf den Motor wieder an. Zurück ging’s, unter den Brücken der Stadt Tortosa hindurch und vorbei an dem grässlichen franquistischen Denkmal, mit dem an die Schlacht am Ebro erinnert wird.
Es können hier nur Blitzlichter auf die Geschichte des Flusses geworfen werden, der der iberischen Halbinsel ihren Namen verliehen hat, der im 9. und 10. Jahrhundert die Grenze des Emirats von Córdoba bildete, über den später das Holz der Monegros – heute eine Wüste, selbstverständlich eine bewässerte – nach Tortosa geschifft wurde, Holz, aus welchem wiederum die spanische Armada gebaut wurde. Einstweilen ist der Ebro mit seinen zahlreichen Staudämmen nur noch beschränkt schiffbar. Schon einige Kilometer nördlich von Tortosa, bei Xerta, verhindert ein erstes Wehr die Weiterfahrt. Und eben hier, wo der links- und der rechtsufrige Kanal zur Bewässerung des Deltas ihren Anfang nehmen, ist nun auch die Abzweigung von Ebro-Wasser, sind die bewussten Trasvases, nordwärts bis nach Barcelona und südwärts – in der Luftlinie über 500 Kilometer – bis nach Almería geplant.
Was das für das Delta bedeutet, Enric schrie es in das Dröhnen der 30 PS, ist ganz klar: ein Fiasko. Denn schon jetzt sei ja die Versalzung der Böden, der Lagunen, auch des Grundwassers nicht aufzuhalten. Wegen der zahlreichen Staudämme führe der Fluss kaum mehr Geröll mit sich, so dass sich das delikate System allmählich zurückbilde. Sollte nun der Trasvase im geplanten Umfang verwirklicht werden, dann würde auch die Bodenerosion weiter zunehmen, und zugleich die Kontaminierung des Wassers, etwa durch die Abschwemmung von Düngemitteln, und damit der Sauerstoffmangel sowie, durch die damit einhergehende Nährstoffzunahme, die Algenentwicklung, was für die Fisch- und Muschelbänke katastrophale Folgen haben könnte, wovon wiederum die Vögel, darunter viele heute seltene Arten, betroffen wären. Kurz, der PHN sei für das Delta unheilvoll, und wenn sich die katalanische Regierung für ihre Zustimmung zum PHN von Madrid happige wirtschaftliche Kompensationen ausbedungen habe, so sei das nichts als ein schändlicher Kuhhandel. Denn keine noch so kostspielige neue Autobahn, kein noch so gut gestyltes Schwimmbad werde das fehlende Wasser ersetzen können. Laut den Berechnungen von Hydrologen der Universität Barcelona führte der Ebro nur in fünf der letzten zwanzig Jahre die für die Aufrechterhaltung seines Ökosystems notwendige Wassermenge. Andere Studien warnen, dass sich seine Wassermenge wegen der Klimaentwicklung weiter verringern wird.
Aber noch ist der Ebro ein stolzer Fluss, nicht nur für spanische Verhältnisse. Man hört Enric gern zu, wenn er ins Schwärmen gerät und, nachdem er eben noch über Pegelstände und Verschmutzungsgrade referiert hat, plötzlich einen Sonnenuntergang auf dem Fluss schildert – den Zirrostratusfilter vor der orange glühenden Kugel – oder, noch herrlicher, eine Morgendämmerung im Winter anschaulich macht: jeden Tautropfen, das Nebelchen dort hinten, den dunklen Spiegel des Wassers. Man darf annehmen, dass er dann seinen Evenrude abgestellt hat.
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Politsumpf. Der Widerstand gegen den «Pe-Atsche-Enne» (so wird der PHN ausgesprochen) ist ein gruppendynamisches Phänomen. Dass im Delta viele eine nahezu symbiotische Beziehung zum Fluss haben, versteht sich. Aber die Empörung hat auf die ganze Bevölkerung übergegriffen. Davon zeugen nicht nur unzählige Sprayinschriften und Transparente gegen den Trasvase bzw. – katalanisch – das «transvasament». Wer immer darauf angesprochen wird, verteidigt mehr oder weniger eloquent die gute Sache. Die Ausnahme bilden einige Politiker.
Am ärgsten in die Nesseln gesetzt haben sich dabei die katalanischen Nationalisten, die das Kunststück fertigbrachten, den PHN zunächst pro forma abzulehnen – im Parlament in Barcelona –, um ihm vierzehn Tage später im Madrider Kongress zuzustimmen. Solche Windbeutelei quittierte das Volk mit wütenden Aufläufen, sooft sich ein Parteiführer in der Gegend zeigte – Präsident Pujol wurde mit «Figo! Figo!»-Rufen empfangen –, und etliche Lokalpolitiker aus den eigenen Reihen haben desertiert. Jene, die es nicht taten, gelten als Verräter. Einer von ihnen ist Joan Roig, Bürgermeister von Amposta, der «Stadt ohne Bürgermeister», wie eine Sprayinschrift schon bei der Einfahrt mitteilt. Roig versucht den Standpunkt seiner Partei, der von aussen eher nach einem Lavieren aussieht, zu erklären. Natürlich sei es legitim, rundweg nein zu sagen. Die katalanischen Nationalisten zögen es jedoch vor, zu verhandeln, um den «zugegeben: schlechten» Plan zu verbessern. Das Problem ist nur, dass sie gegenüber Aznars Partido Popular am kürzeren Hebel sitzen: Während dieser in Madrid die absolute Mehrheit hat, können sie in Barcelona nur mit PP-Unterstützung regieren. Die Regierung Aznar ging denn auch über alle Abänderungsanträge schlicht hinweg. Hatte nicht Spaniens Landwirtschaftsminister schon vor Monaten angekündigt, im Parlament werde der PHN ein Spaziergang («un paseo militar») und «por cojones», was wir lieber nicht zu übersetzen versuchen, angenommen werden?
So war’s denn auch. Der katalanische Vorschlag etwa, das Wasser für die Region Barcelona künftig nicht aus dem Ebro, sondern aus der Rhone zu beziehen, hat in Madrid kein Gehör gefunden; wobei fraglich bleibt, ob Barcelona dieses Wasser überhaupt braucht. Schon vor dreissig Jahren stand die Stadt angeblich wegen Wassermangels vor dem Kollaps, und obgleich sie sich nach wie vor hauptsächlich aus dem kleinen Fluss Ter versorgt, hat sie sich doch prächtig entwickelt und es liesse sich schwerlich behaupten, sie habe gedarbt.
An dem hypothetischen Transfer von Rhonewasser nach Katalonien erweist sich, wie komplex das Thema ist. Ob Barcelona besser mit Rhone- oder mit Ebrowasser beliefert wird (oder mit keinem von beiden), ist nicht nur eine technische oder ökologische Frage. Genauso wie die katalanischen Nationalisten mit der Option Rhone ihre Unabhängigkeit von Madrid unterstreichen möchten, ist der PHN für den zentralistisch gesinnten PP auch ein Kohäsionsmittel. Zu beachten sind aber noch andere Aspekte. Die Wasserrechte an der Rhone besitzt heute ein Konsortium, zu dem Konzerne wie Vivendi und Alstom gehören. In Frankreich ist also genau jener Wassermarkt, den die sozialistische Opposition hinter dem PHN beargwöhnt, teilweise schon Wirklichkeit. Die spanischen Sozialisten hatten indessen Anfang der neunziger Jahre selbst einen Bewässerungsplan entwickelt, der dem heutigen PHN verblüffend glich, der vom damals oppositionellen PP jedoch heftig bekämpft wurde. Was ein Hinweis darauf ist, dass politische Macht, namentlich wenn absolut ausgeübt, gern einen Hang zu wassertechnischen Grossbauwerken entwickelt. Man darf an Stalin, an die chinesischen Kommunisten oder, hier näherliegend, an Franco denken…
Denn der PHN ist ja nicht der erste Versuch, Spaniens Wasserprobleme mit Beton in den Griff zu bekommen. Über tausend Staudämme, mehr als in jedem andern europäischen Land, prägen die iberische Topographie, haben Täler und Dörfer zum Verschwinden und dafür neue, teils berückende Seelandschaften hervorgebracht. Viele dieser Stauseen sind allerdings auf immer halb, einige sogar ganz leer geblieben, weil die Zuflüsse die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllten. Das Musterbeispiel für die Folgen eines in vielem dem PHN verwandten Werks aus der späten Franco-Zeit ist die Umleitung von Tajo-Wasser in die Region von Murcia, der «Trasvase Tajo-Segura»: Hat er doch den Wassermangel dort, wo er ihm abhelfen sollte, schlicht verdoppelt. Nicht nur weil heute lediglich ein Viertel der ursprünglich vorgesehenen Menge (1000 Kubikhektometer, fast identisch mit dem nun geplanten Aderlass des Ebro) nach Süden geleitet werden kann; sondern mehr noch, weil er, bevor er überhaupt gebaut war, die Nachfrage angeheizt, neuen hochintensiven Landwirtschaftsbetrieben und der Spekulation im Tourismussektor Vorschub geleistet hat.
Mit andern Worten: der normale Bürger braucht keinen Trasvase, um weiterhin jeden Morgen seine Dusche zu nehmen. Über drei Viertel des spanischen Wasserverbrauchs gehen in die Landwirtschaft. Sollte sich diese das Ebrowasser, das der PHN mit einem Kubikmeterpreis von 52 Peseten veranschlagt (das aber nach Meinung vieler Experten mindestens doppelt so teuer ausfallen wird), gar nicht leisten können, so würde es immerhin die Wasserversorgung der Zweitresidenzen der EU-Bürger mit den zugehörigen Golfplätzen sicherzustellen. Und das einwandfreie Funktioneren einer Unmenge Hoteltoilettenspülungen. So oder so: viel öffentliches Geld – in diesem Fall zu einem schönen Teil aus dem EU-Kohäsionsfonds stammend – im Dienst privater Spekulanten und Küstenverschandler.
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Saragossa-Brüssel-Lourdes. Dagegen vermögen ein paar Reisbauern im Delta wenig auszurichten. Aber sie stehen nicht allein. Auch in Aragonien ist die Ablehnung des PHN fast einhellig, obwohl die Aragonesen vom Trasvase überhaupt nicht betroffen sind; sie haben, und dabei gibt es immer auch einige Profiteure, bloss etwa zwanzig neue Staudämme zu gewärtigen. Schliesst man die eher unwahrscheinliche Deutung aus, dass sie den PHN aus rein rationalen Erwägungen für untauglich befinden, bleiben zwei Erklärungsmöglichkeiten: erstens, sie seien dem Fluss, der ihr Land durchfliesst, so zugetan, dass sie ihn als jene Einheit sehen, die er tatsächlich ist. Und zweitens – weniger romantisch –, dass da auch Neid im Spiel ist: weil die dürre, unter Entvölkerung leidende Region einmal mehr mit ansehen muss, welche Privilegien die Mittelmeerküste geniesst.
Jedenfalls scheint man gerade im Hinterland zu spüren, dass hier ein Staat auf eine Weise neu strukturiert wird, wie es sonst höchstens Autobahnen und TGV-Linien bewirken; und dass dabei bestimmte Regionen zu den Gewinnern, andere zu den Verlierern zählen werden. In der aragonesischen Hauptstadt Saragossa protestierte eine halbe Million Menschen gegen den PHN. Nun aber, nachdem der «paseo miltar» durch beide Kammern des spanischen Parlaments stattgefunden hat, richten sich die Augen der Opponenten nach Brüssel. Läuft dieser Plan doch offensichtlich nicht nur allen Grundsätzen modernen Gewässerschutzes zuwider, sondern auch der EU-Wasserpolitik, wie sie im Vertrag von Amsterdam (Nachhaltigkeit) und in der sogenannten – man entschuldige das Wortungetüm – Wasserrahmenrichtlinie entworfen wurde, die – es kommt noch besser – auf dem Schlüsselbegriff des Flusseinzugsgebietsmanagements beruht.
Auf deutsch: anstatt zum Entzücken der Bauindustrie durch ein künstlich geschaffenes Angebot eine ebenso künstliche Nachfrage zu schaffen, soll nach dieser Richtlinie die knappe Ressource Wasser auf eine Art und Weise verwaltet werden, die den vorhandenen Ökosystemen Rechnung trägt: wo wieviel Grundwasser vorhanden ist und wo mit Kläranlagen und einer Verbesserung der Bewässerungssysteme wieviel Wasser gewonnen bzw. gespart werden kann. Der PHN sieht zwar immerhin 26 (freilich sehr energieintensive) Meerwasserentsalzungsanlagen vor; aber das Sparpotential von Brauchwasser und Tröpfchenbewässerung übersieht er. Hydrologen haben berechnet, dass allein die Ersetzung der in Spanien weitherum üblichen Sprühberegnungsanlagen, bei denen ein Grossteil des Wasser verdunstet, bevor es auf den Boden kommt, wirtschaftlich sinnvoller wäre und die ganze Betonorgie überflüssig machen würde. Aber der PHN stellt ja auch die Klimaänderung nicht in Rechnung, er ignoriert die Unvorhersehbarkeit des EU-Agrarmarkts, und am allerwenigsten schert er sich darum, ob denn Ebrowasser in Almería auch kostendeckend sein wird.
Das Madrider Umweltministerium, das für diesen Plan verantwortlich zeichnet, hat über hundert Expertisen von Hydrologen und Ökologen eingeholt, diese dann aber wohlweislich totgeschwiegen. Denn ihr Tenor lautete: der PHN ist ein ein Plan für bestimmte Bauwerke, aber «hydrologisch» verdient er nicht genannt zu werden. Der nationalistische Bürgermeister von Amposta, der von seinen Mitbürgern nicht mehr als solcher angesehen wird, glaubt dennoch, seine Partei trage zu dem für ein solches Mammutprojekt nötigen Konsens bei. Und wenn diesen Sommer die halbe Bevölkerung des Deltas mit Autocars nach Brüssel fahren wird, um dort ihren Protest kundzutun, so kann er als Realpolitiker darüber nur schmunzeln: «Die scheinen Brüssel für eine Art Lourdes zu halten.»