ceci n'est pas une blague
Markus Jakob
Chrismust

Ich bin jedesmal fürchterlich gespannt auf die Krippe, die Anfang Dezember auf der Plaça Sant Jaume zwischen Barcelonas beiden Regierungspalästen aufgebaut wird, zwischen dem Ayuntamiento und der katalanischen Generalitat. Gibt es vielleicht eine interessantere Designaufgabe als eine Weihnachtskrippe? Einerseits strömen die traditionsbewussten Massen unweigerlich herbei, um den diesjährigen Entwurf volkskritisch unter die Lupe zu nehmen – vielmehr zu durchwandern, handelt es sich doch um eine jeweils einen Grossteil des Altstadtplatzes einnehmende künstliche Landschaft –; andererseits sind die Entwerfer gehalten, zugleich mit den Erwartungen des kommunen Vorstellungsvermögens die einer sich möglichst stilbewusst gebärdenden Stadt zu erfüllen.

Vor dieses Dilemma gestellt, liefert Barcelonas Designergilde Jahr für Jahr die denkbar wunderlichsten Environnements. Leibhaftige Schafe blökten da – zur nicht leicht nachvollziehbaren Empörung der Tierschützer – wochenlang zwischen zur Unkenntlichkeit abstrahierten Marien- und Josephsfiguren. Vor einem Jahr bildeten photographische 1:1-Abbilder der realen Bevölkerung den Cortège, der eine Krippe erst zu einer Krippe macht: Engel, Hirten und Könige wurden durch die Silhouetten pakistanischer Butan-Austräger und mit Einkaufstüten beladener Shopper repräsentiert. Die Profanierung war nicht nach jedermanns Geschmack. Daher hat man sich heuer für einen moderateren Entwurf entschieden: einen von grünen Plexiglaswänden umfriedeten Bambushain (untrügliches Signal unbeirrbarer Modernität), in welchem in einem kubischen Schrein eine Krippe mit allerdings höchst konventionellen vergoldeten Figuren die barcelonesische Christenheit an sich vorbeiziehen sieht.

Im Gegensatz zu dieser munizipalen Krippe war Barcelonas weitere Weihnachtsdekoration bis vor zwei Jahren erstaunlich konventionell. Dann erging der Auftrag an einige namhafte Designer, die Ramblas, den Paseo de Gracia und einige weitere Einkaufsstrassen zeitgemäss zu schmücken. Die unverschämt zum Konsum einladenden Girlanden aus rot leuchtenden Einkaufstüten an der Achse Ferran-Jaume I wurden inzwischen wieder durch hübsche Neongehänge ersetzt.

Am Paseo de Gracia gehen hingegen Mariscals täppische, paketbeladene Figürchen in ihre dritte Saison, ebenso die grossen gelben, von der Tramontana mitunter bedenklich durchgeschüttelten Leuchtkugeln, die über den Ramblas baumeln. Ihr leicht orientalischer Touch scheint niemanden zu stören, und im Gegensatz zu Zürich bedurfte es nicht eines sieben Jahre währenden Prozesses, um sie aufzuhängen. Flankiert werden sie derzeit exquisiterweise von Günter Brus’ aktionszerspaltener Visage, Reklamen für seine Retrospektive im Museu d’Art Contemporani.

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