ceci n'est pas une blague
Markus Jakob
[I] Enric Granados, Séneca und einige Diagonal-Schwingungen

Man muss immer das grosse Stadtfest abwarten, die Mercè am 24. September, bevor das sommerliche Siechtum für überwunden gelten kann. Vermischt mit allen möglichen weiteren Festivals (etwa der Sexmesse FICEB und dem ersten Auftritt eines gewissen George Michael nach fünfzehn Jahren) gestaltete sich die Rentrée auch diesmal so vehement, dass man ihr erst möglichst auswich. Das Stadtfest, das stets zu furchterregenden Menschenansammlungen geführt hatte, verbannte die spätnächtlichen Grooves erstmals in den Parc del Forum, der sich als neuer Stadtraum für derlei Grossveranstaltungen einmal mehr bewährte und – zusammen mit dem Regen – die innerstädtischen Schauplätze vor dem Kollaps bewahrte. Jetzt dürften jene allmählich verstummen, die die enorme Esplanade als überrissen bemäkelt hatten. Am letzten Festtag musste sie vor dem Ansturm von etwa 200’000 Schaulustigen sogar geschlossen werden. Sie nimmt maximal 160’000 Leute auf.

Tags darauf also konnte man sich in den göttlichen Herbst hinauswagen. Die Stadt schien vor Lust auf sich selbst zu platzen. Sirenen heulten, irgendein Demonstrationszug zog durch die Vía Layetana. Ich spazierte in den Eixample hinauf, schaute in einige Galerien: Bustamente bei Estrany, in der Galería Senda eine Ausstellung von Juan Navarro Baldeweg, dem Madrider Architekten, der sich auch als Maler betätigt – wobei gewisse formale Übereinstimmungen auffallen: links eine Aufnahme aus der Galerie, rechts sein noch im Bau befindliches Universitätsgebäude am Carrer Wellington (in einer Aufnahme vom August 2006).

Dann wechselte ich an die nach dem Komponisten Enric Granados benannte Strasse, deren Schild darüber informiert, dass Granados 1867 in Lleida geboren und 1916 EN MAR verstorben ist, womit nicht etwas ein Ort, sondern wirklich das Meer gemeint ist, wo sein Schiff und damit seine Lebensbahn kenterten.

Als verkehrsärmste Achse des Cerdá-Rasters war Enric Granados immer schon ein privilegierter Ort. Seit die Strasse vor einigen Jahren zur Promenade umgestaltet wurde, mit nur noch einer einzigen Fahrspur, haben sich nun auch vermehrt chice Betriebe hier angesiedelt.

In der Galerie N2 waren Photoübermalungen von Carlos Saura zu sehen (Architekten, Filmregisseure: alle scheinen mit dem Pinsel Entspannung von ihren nervigen Berufen zu suchen). Gleich gegenüber entdeckte ich einen Designerladen namens l’Appartement, der zur Zeit eine Ausstellung des hippen französischen Studios 5.5 Designers zeigt.


Ich nahm einen Kaffee in dem hier schon einmal erwähnten, überaus üppig gestylten Hotel Granados 83, in dem man zuhinterst diesen Hofgarten entdeckt. Keine Ahnung, wer der Entwerfer ist. Das Hotel soll diesen Sommer die Lounge-Mode, mit der verschiedene Hotels auch Einheimische auf ihre Dachterrassen lockten, angeführt haben.

Einige Schritte weiter erreichte ich die Diagonal und wollte mich vor soviel Modernität in der Nummer 407 in die Casa-Taller des Malers Rafael Durancamps retten, von der ich unlängst gehört habe: offenbar ein öffentlich zugängliches Relikt eines längst verblichenen bürgerlichen Lebensstils. Ich kam aber zehn Minuten zu spät und kann hier nur das immerhin soignierte Treppenhaus vorweisen.

Ich überquerte die Diagonale und an der Vía Augusta geriet mir dieses schöne Hotelschild in den Sucher, was mir den Hinweis auf ein jüngst neu afgelegtes Buch getsattet: Barcelona gráfica des Argentiniers America Sánchez, der Hunderte barcelonesischer Geschäftsschilder, Piktogramme usw. in diesem Band versammelt.

Schon zuvor, noch an Enric Granados, Ecke Provenza, war mir diese renovierte Fassade ins Auge gestochen.

Steckte den Kopf kurz in den Ausstellungssal des CAATB, des Baumeisterverbands an der Calle Bon Pastor, wo die Schweizer Künstlerin Marieke Palocsay (Marika) unter dem Titel Efímer ihre im Barrio Chino entstandenen und inszenierten Aufnahmen von Brandmauern zeigt, jenes nach Aussen gekehrten Lebens nach Abrissen – hier und hier auf katalanisch einige Informationen zu dieser Arbeit.

Ich wunderte mich, wie lange ich nicht mehr durch die kurze Calle Séneca gekommen war, die die Vía Augusta mit Riera de San Miguel verbindet. Eine wunderbar durchmischte Strasse, an der etwa das Restaurant Roig Robí mit seinem Hofgarten liegt, an der es aber auch allerlei Werkstätten und Spelunken gibt, im Bild die Bar Ciudad. Der schwarz umrandete Eingang gehört zu irgendeinem weiteren Designerladen, und zu meinem Schrecken entdeckte ich hier auch die als Verbreiterin faschistischen Gedankenguts berüchtigte Librería Europa, die es also immer noch gibt.

Gleich gegenüber, Hausnummer 13, liegt ein Antiquariat, das in Barcelona wohl einzigartig ist. Es nennt sich Urbana, mit vollem Namen Compañía Urbana de Recuperación. Was da vor der Entsorgung gerettet wird, sind Gegenstände der industriellen Vergangenheit: von Balkongittern und Handläufen bis zu vielerlei


Die Eigentümer verstehen sich als eigentliche urbane Archäologen. Eines ihrer (unverkäuflichen) Prunkstücke ist übrigens eine von Cerdá unterzeichnete Kopie seines Erweiterungsplans für Barcelona. Leider scheint die Website des Ladens zur Zeit nicht zugänglich zu sein.

Zurück auf den grossen Avenuen, photographierte ich von der Diagonale aus die neue Fassade, die Carlos Ferrater dem einst als BASF-Haus bekannten Chaflán an der Ecke Paseo de Gracia/Rossellón verpasst hat. Die Fassade schreibt sich ein in Ferraters sehr ernsthaft, fast obsessiv betriebene Untersuchungen zwecks Gestaltung des Stadtbilds mit geometrischen Mitteln. Über diesen Post-Cerdiàner ein andermal mehr. Aus der Nähe sind allein schon die Spiegelungen in den grossen Schaufenstern des Erdgeschosses reizvoll.

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